Polly Adlers Kolumne: Jenseits von Tataouine

Über eine Kurzzeit-Affäre mit Paris.

Paris beutelte mir den Stress aus den Hosenbeinen. Wir wohnten in einem Hotel, das nahezu poetisch analog war: Zimmerschlüssel mit Quastelchen statt der elenden Plastikkarten, keine QR-Codes, sondern handgeschriebene Menükarten im Restaurant, Silberbesteck, Porzellan, Zimmer in putziger Schuhschachtelgröße. 

Rundherum aber wohltuende Rauheit, kein Niedlichkeits-Sodbrennen durch Über-Gentrifizierung wie im Viertel Marais, das inzwischen wie ein einziges Puppenhäuschen für Grünlagen-Hausfrauen und Bieder-Gays wirkt. 

Hier im Elften Multikulti-Läden, arabisches Gedüdel aus schlechten Lautsprechern, nächtliches Geschrei zwischen Paaren, wobei mir die Phrase "Scher‘ dich doch nach Tataouine!" ins Ohr stach. Tataouine scheint das Pendant zu unserem Land, wo der Pfeffer wächst, zu sein, und war eine Militärkolonie in Tunesien, bekannt für ihre barbarischen Sitten. 

Man kann von den Franzosen auch sonst einiges lernen. Manieren zum Beispiel. Höflichkeitsphrasen wie "Nicht der Rede wert" oder "Ich bitte Sie" oder "Untröstlich, Madame!" schwirren durch die Luft. Tatsächlich bin ich zunehmend empfindlicher, was schlechtes Benehmen betrifft. Solche altmodischen Stehsätze wirken einfach wie ein soziales Gleitmittel und aggressionsmildernd.

Auch der Frenchie-Umgang mit der Brut erfrischt: Plärrt ein Kind im Jardin de Luxembourg, weil es von Maman die falsche Eissorte gekriegt hat, wird es einfach ignoriert, bis es sich wieder beruhigt. Das nennt man Frustrationstoleranz-Pädagogik. 

Bei uns, zumindest in den Bubble-Bezirken, wird dann gerne von den späten Eltern mit Noah/Lotti/Ruben/Seline ein Verhandlungsgremium eröffnet, Marke "Aber, Liebling, du hattest Ziegenkäse mit Lavendel doch sonst so gern...." Paris ist in jedem Fall eine fantastische Kurzzeitaffäre. Da lässt sich das Begleit-Elend wie Marine und die Brasserie-Preise für matte Gerichte am besten ausblenden.  

Polly Adler

Über Polly Adler

Polly Adler steht als Chaos-de-luxe-Kolumnistin auf dem satirischen Beobachtungsposten von Alltags-Irrsinn, Beziehungs-Herausforderungen und Brutpflege. Hinter dem Pseudonym versteckt sich die Wiener Journalistin Angelika Hager. Aus Polly Adlers verrückter Welt entstanden inzwischen acht Bücher, eine TV-Serie und diverse Bühnen-Shows, aktuell „Knietief im Glamour”: die Polly-Adler-Show im Rabenhof. Jeden Sonntag um 11 Uhr.

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