Polly Adlers Kolumne: "I feel you, sis"
Wenn Prachtmädchen auf Boy-Diät gehen wollen.
Jänner ist irgendwie sowas wie die Ernüchterungszelle des Jahres. Inklusive der Hangover-Schmerzen in allen Richtungen. Nie wieder Alkohol, keine fetten Gänse, keine Menschen mit so aufgeblähten Egos, dass sie eine eigene Postleitzahl dafür bräuchten, keine leeren Kilometer, viel klare Suppe.
"Auch Boy-sober" scheuchte die sechzehnjährige Tochter einer Freundin, die Zaungast beim Vorsatz-Kolloquium von uns Oldies wurde, aus ihrer Scrolling-Gymnastik hoch.
Wir brauchten natürlich wie so oft Untertitel: Sie erläuterte uns, dass sie und einige ihrer "Sistas" beschlossen hatten, 2025 zölibatär zu leben. "Aber warum denn", frage ich sie entsetzt und fügte im Bastei-Lübbe-Pathos hinzu, "man kann doch das Buch der Liebe, weit vor eurer Blüte, noch nicht zuklappen! Ich meine, in eurem Alter drehte sich bei uns noch alles um 'Hat der Pepi/Franzi/Hansi jetzt g’schaut am Schulhof oder extra nicht?' Inklusive zarter Jetzt-reden-wir-Tacheles-Anfragen à la 'Willst du mit mir gehen? Ja/Nein/Vielleicht?' All die prickelnde Unsicherheit, all die Aufregung?"
"So, Tante Polly, jetzt einmal Klartext", sagte sie, "meine Sistas und ich haben die toxischen Males up till here. Courtship null bei Elias/Ruben/Elvis. Damit will sich heute keiner mehr aufhalten. Es geht immer gleich ratzfatz zur Sache. Und wenn es da ungeschmeidig wird: Ghosting. Dabei liebe ich Jane-Austen-Romane. Ich wäre eigentlich eine Blushing-Comtesse erster Güte."
Schon wieder bräuchte ich einen Dolmetsch. Sie antwortete: "My own creation, ich würde perfekt erröten, wenn ein Gentleman aus der Nachbarschaft mich um eine kleine Promenade zum Bach ersucht und ich nach mehrtägigem Zögern endlich einwillige. Und dieser Gentleman nicht ein pornoverseuchtes Muttersöhnchen, das keine Communication für seine Gefühle hat, ist, und keine Audiomessages à la 'Und? Was geht bei dir ab?' schickt."
Da konnte ich dieser Gen-Alpha-Knospe nur ein inbrünstiges "I feel you, sis" zuflüstern.
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