Polly Adlers Kolumne: Bloß keine nordkoreanische Gewürzlade

Betriebsanleitung für 2025: Mut zur roten Flagge.

Ich starrte auf meine Gewürzlade: Jedes Glas am Deckel säuberlich beschriftet, geordnet nach Schärfegraden. Meine Gewürzlade hatte etwas von einer nordkoreanischen Militärparade. 

Ich wollte, dass mein Leben 2025 genauso werden sollte wie diese Lade: strukturiert, überschaubar, ohne das übliche Chaos, ohne Überraschungen, bitte alles auf Spur, eine emotionale Autobahn ohne Kurven. 

Nach einer Runde Nachdenken wurde mir klar: Es wäre völlig gegen meine Natur und käme eigentlich einer Selbstverleugnung gleich. Wahrscheinlich würde ein solches Leben auch jede Spontanität und Kreativität killen. Nur wenn das Adrenalin bereits Blasen schlägt, komme ich generell auf Touren. Und Katastrophen-Adrenalin ist noch immer die verlässlichste Inspirationsquelle

Ich dachte an Gabor Maté – aktuell der weltweite Seelenguru Nummer eins, den ich kürzlich interviewen durfte. Er hatte jahrelang als Palliativmediziner Sterbenskranke betreut und ich fragte ihn, was die Menschen am Ende ihres Lebens am meisten bereut haben. Seine Antwort: "Nicht sie selbst gewesen zu sein, sich zu sehr nach anderen gerichtet zu haben." 

Denen, die noch Lebenszeit vor sich hatten, stellte er in seiner Praxis die Frage: "Welchen Schmerz wählst du: Den, nicht authentisch zu leben, oder den, dass dich andere vielleicht nicht mögen?" Ich entscheide mich mit einem lauten Juchzer für die zweite Variante.

Nicht nur Kinder, Menschen generell brauchen eben Grenzen. Grenzen, an denen man mit einer roten Flagge steht und kräftig ruft: "Schätzchen, bis hierher und keinen Schritt weiter!" 

Am Ende ist es immer besser, die anderen weinen, als man selbst. Mantra 2025

Angesichts von Nervensägen, Energiesaugern, narzisstischen Testosteron-Strizzelchen und respektbefreiten Arroganten werde ich gehäuft die herrliche Wiener-Phrase "Sag, wann kommt der Bus mit di Leit’, die des interessiert?" zum Einsatz bringen. So wird mein Leben mit Sicherheit anstrengend, aber keine nordkoreanische Gewürzlade. Und nur darauf kommt es an. Prositchen!

pollyadler.at

Polly Adler

Über Polly Adler

Polly Adler steht als Chaos-de-luxe-Kolumnistin auf dem satirischen Beobachtungsposten von Alltags-Irrsinn, Beziehungs-Herausforderungen und Brutpflege. Hinter dem Pseudonym versteckt sich die Wiener Journalistin Angelika Hager. Aus Polly Adlers verrückter Welt entstanden inzwischen acht Bücher, eine TV-Serie und diverse Bühnen-Shows, aktuell „Knietief im Glamour”: die Polly-Adler-Show im Rabenhof. Jeden Sonntag um 11 Uhr.

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