Psychohygienische Boxenstopps

Manche probieren es mit Fluchsalven, andere mit Empathie-Gymnastik.

Unsere Gang hatte einen „Was sind deine nächsten Ziele“-Frühabend. Funktioniert so wie ein psychohygienischer Boxenstopp. Vor allem wenn man gerade im Alltagsirrsinn in Form einer lecken Waschmaschine, den Zusammenbruch des Mailservers oder einer Taube, die versehentlich in mein Wohnzimmer abgebogen ist und auch über ein dünnes Nervenkostüm verfügt, unterzugehen droht. Das mag jetzt nach einer Glückskeks-trifft-Paulo-Coelho-Erkenntnis klingen, aber ich notierte mir ganz oben auf meiner Liste „Angemessene Freundlichkeit gegenüber Mitbürger:innen, mehr Toleranz im Handgepäck!“ 

Es funktioniert wirklich alles viel unangestrengter, wenn man diese Empathie-Gymnastik betreibt. Also: Der energetisch ausgelaugte Techniker-Typ meines Internetproviders, der in irgendeinem Callcenter in Oldenburg sitzt und definitiv keine Ahnung hat, wie er meinen Mailzugang wieder zum Zwitschern bringt, bekommt seine himmelschreiende Ignoranz nicht um die Ohren gehauen, sondern ich plaudere mit ihm. Es stellt sich heraus: Er hat ein Schreibaby, macht gerade zwei Jobs gleichzeitig, weil seine Frau ausfällt, und leidet an Long-Covid bedingter Ermattung. Er ist geplättet, dass sich irgendjemand für seine Befindlichkeiten interessiert, üblicherweise wird er mit Kübeln von Ungeduld beworfen. Meine frisch getrennte Freundin K ist gerade auf einem anderen Trip: Sie notiert „zehn Kilo weniger und emotionales Abkoppeln“. Zwischendurch verlässt sie das Zimmer, aus dem Nebenraum sind Fetzen einer Fluchsalve hörbar: „Hirnamputiertes Kretin ... Sargnagel ... narzisstisches Lulu ...“

Wie wir später erfahren, ist dieser Tourette-Ausfall eine Therapiemethode, die ihr, im Falle einer Aggressionswallung, ihr Abkoppel-Coach ans Herz gelegt hat. Früher hat man einfach mit Porzellan geworfen und das Gesicht des Sargnagels mit Hitler-Bärtchen übermalt. War in jedem Fall günstiger als so ein affiger Abkoppel-Coach.

„Nymphen in Not“ am 30. 10. um 11 Uhr im Rabenhof: Mit Sona MacDonald & Petra Morzé.

Polly Adler

Über Polly Adler

Polly Adler steht als Chaos-de-luxe-Kolumnistin auf dem satirischen Beobachtungsposten von Alltags-Irrsinn, Beziehungs-Herausforderungen und Brutpflege. Hinter dem Pseudonym versteckt sich die Wiener Journalistin Angelika Hager. Aus Polly Adlers verrückter Welt entstanden inzwischen acht Bücher, eine TV-Serie und diverse Bühnen-Shows, aktuell „Knietief im Glamour”: die Polly-Adler-Show im Rabenhof. Jeden Sonntag um 11 Uhr.

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