Vea Kaiser

Glasweise Desensibilisierung

Warum es nicht gut ist, wenn ein Mann aus Solidarität mit seiner schwangeren Frau des Weingottes Gabe verweigert

Als ich meinen Dottore Amore kennenlernte, hatte er zwei Makel: 1. Er benutzte Haargel nach dem Motto „Mehr ist mehr“. 2. Er vertrug keinen Alkohol. Man kann einen Partner nicht ändern. Mein Mann und sein Haargel sind also weiterhin beste Freunde. Doch von meinen Eltern, die siebenunddreißig Jahre verheiratet sind (und das sogar glücklich!) lernte ich, dass man den Partner nicht ändern muss, weil man ihn auch desensibilisieren kann. Als meine Mutter, gebürtige Dürnsteinerin, meinen Vater kennenlernte, trank dieser nur Orangensaft. Zart und liebevoll begann sie, ihn an den Wein heranzuführen. Mittlerweile verwaltet er den gemeinsamen Weinkeller. 

Ich wusste also: Es gibt Hoffnung. Vor fünf Jahren begann ich, meinen Dottore Amore an den Wein zu gewöhnen, indem ich ihm regelmäßig kleine Dosen guter Tropfen servierte. Zuerst zum Abendessen, später als Abendprogramm. Eine Schluckimpfung, um seine Verträglichkeit von Monat zu Monat zu steigern. Doch nun bin ich wieder schwanger, und mein Mann trinkt aus Solidarität überhaupt nichts mehr. Da wir seine Desensibilisierung nie besprochen haben, kann ich ihm schlecht sagen: Bitte trink ein Glas, du brauchst das, damit du nicht aus der Übung kommst. 

Mein Bruder fasste dieses Dilemma zusammen, als wir uns neulich zu einer Premium-Weinverkostung trafen. Es gab herrliche Tropfen, mein weinliebendes Herz blutete. Während alle schwärmten und 
lustig waren, wurde ich tieftraurig, weil ich nur riechen durfte. Mein Mann vergrößerte meine Verzweiflung, indem er nur kleine Kostschluckis nippte und die Hälfte wieder ausspuckte. „Geliebter Schwager“, sagte mein Bruder. „Ihr zwei macht das falsch. Beim nächsten Kind solltest du schwanger sein, weil dir würde das weniger ausmachen als meiner Schwester. Und uns reicht einer, der nüchtern bleibt und 
uns heimfährt.“  

Vea Kaiser

Über Vea Kaiser

Vea Kaiser ist die Autorin der Nr.1-Bestseller „Blasmusikpop“, „Makarionissi“ und „Rückwärtswalzer“. Ihre Bücher wurden vielfach preisgekrönt und in mehrere Sprachen übersetzt. Die studierte Altphilologin lebt mit Familie am Wiener Stadtrand und schreibt für die freizeit die wöchentliche Kolumne „Fabelhafte Welt“.

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