Fabelhafte Welt: Von falschen Bärten und Kindergärten

"Sanft eingewöhnen" ist ein toller pädagogischer Ansatz. Manchmal schnappen die Kleinen selbst aber dafür blitzschnell zu.

Endlich haben wir einen tollen Kindergarten gefunden, den Bambino nächstes Jahr besuchen darf. Zuhause protestiert er häufig gegen seine Baby-Einzelhaltung, und als wir im zukünftigen Kindergarten schnupperten, kullerten beim Abschied die Tränen.

Manchmal fällt der Apfel weit vom Stamm: Ich brach als Kind in Tränen aus, wenn ich den Kindergarten betrat. Aber vieles hat sich in der frühkindlichen Pädagogik verbessert. Heute werden Kinder sanft eingewöhnt. Zu meiner Zeit bekam man am Eingang einen Kuss, eine Jausenbox und ein: „Viel Spaß!“ (Den ich NIE hatte).

Sogar an den Nikolaus werden Kindergartenkinder sanft gewöhnt. In Jahr eins muss er im Garten bleiben und seine Sackerln vor dem Fenster abstellen, erst im zweiten Jahr darf er die Gruppe besuchen. Ich fand das sofort super, denn ich hatte panische Angst vor dem „Hukasaus“, wie ich dachte, dass dieser Travestie-Künstler mit dem Rauschebart hieß.

Um auch meinem Bambino eine sanfte Nikolaus-Gewöhnung zu ermöglichen, ging ich am 6. mit ihm in die Kirche. Wenn man schon zahlendes Mitglied ist, dann sollte man das Angebot auch nutzen (wie beim Fitnessstudio.) Ich hatte eigentlich vor, hinten stehen zu bleiben und den Nikolaus aus der Ferne zu beobachten.

Mein Sohn jedoch riss sich los und sprintete nach vorn. Ich nahm die Verfolgung auf, aber mein Mantelgürtel verhedderte sich an einem Kinderwagen. Bis ich mich befreien konnte, hatte sich Bambino bereits den Nikolausstab geschnappt und spielte damit Staubwischen. Der Nikolaus fand das entzückend, nahm Bambino hoch, woraufhin der ihm sofort den Bart herunterriss. Ein Raunen ging durch die Kirche.

Ich schnappte meinen Sohn, drehte um und lief hinaus. Manche Äpfel fallen nicht nur weit vom Stamm. Sie sind klein und müssen noch einiges lernen, sind jedoch schon um so viel mutiger, als es der große alte Stamm je war.
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Vea Kaiser

Über Vea Kaiser

Vea Kaiser ist die Autorin der Nr.1-Bestseller „Blasmusikpop“, „Makarionissi“ und „Rückwärtswalzer“. Ihre Bücher wurden vielfach preisgekrönt und in mehrere Sprachen übersetzt. Die studierte Altphilologin lebt mit Familie am Wiener Stadtrand und schreibt für die freizeit die wöchentliche Kolumne „Fabelhafte Welt“.

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