Botschafter der fünften Jahreszeit

Mitte November besuchten Bambino und ich einen Baumarkt. Im Eingangsbereich war bereits die Weihnachtsdeko aufgebaut: Es glitzerte und funkelte, Plüschrentiere zogen einen LED-Santa-Claus rund um eine Plastiktanne, während ein Keramik-Engel mit Ukulele in der Hand so etwas wie Jingle Bells sang. Vielleicht sang er auch Ihr Kinderlein kommet, die Akustik einer Baumarktvorhalle schmeichelt Engeln nicht.

Was für ein grauenhafter Kitsch, dachte ich mir, doch mein Söhnchen hatte Wurzeln geschlagen. Mit sperrangelweit aufgerissenen Augen und nach unten geklappter Kinnlade bestaunte er dieses Arrangement. Fast eine Viertelstunde mussten wir verweilen, ehe wir zum Holzleim schreiten konnten. In mir glühte die vorweihnachtliche Miselsucht: Es beginnt im September mit Lebkuchen und endet alle Jahre wieder im Stress zwischen Weihnachtsbesuchen, Keksverteilung, teurem Geschenkeshopping. Als ich gezahlt hatte, nahm mich Junior an der Hand, und zerrte mich statt nach draußen zielstrebig zurück zur Weihnachtslandschaft – mit einem Orientierungssinn, den ich bei einem vierzehn Monate alten Zwerg nicht vermutet hatte.

Weitere zwanzig Minuten stand er andächtig davor, während ich mich für meinen Grinch-Anfall zu schämen begann: Weihnachten ist nicht Backmanie, Kaufen, Schenken und Rennen. Weihnachten ist Staunen, Freude, in stiller glücktrunkener Ehrfurcht vor etwas stehen: vor Adventkränzen, vor dem Nikolaus, vor einem Weihnachtsbaum, vor einer Krippe. Und wenn man das im Stress, Gehetze und Gewusel einen Baumarktbesuch lang vergisst, dann gibt es glücklicherweise eine Menschengruppe, die einen sofort daran erinnert: Kinder.
Nicht Plastik-Engerl und LED-Rentier sind die Botschafter der fünften Jahreszeit, sondern diese kleinen Leute, die noch nicht verlernt haben, sich unvoreingenommen zu freuen und ehrlich zu staunen.