Vea Kaiser

Vea Kaisers Kolumne: Sprachliche Klarheit

Über ontologische Definitionsprobleme, die der Kindergartenfasching mit sich bringt

Wie jeden Morgen sagte ich zu meinem dreijährigen Sohn: "Kommst du bitte ins Badezimmer, damit ich dir die Zähne putzen kann?" Zu meiner Überraschung antwortete er: "Nein, Mama."

Wie die Mehrheit der Dreijährigen ist auch mein Sohn kein großer Fan des Zähneputzens. Seit seiner Urgroßmutter während des gemeinsamen Spiels das Gebiss aus dem Mund fiel, lässt er jedoch zweimal täglich freiwillig und ohne Protest Bürste wie Creme über sich ergehen. Was mein Sohn beanstandete, war meine Wortwahl: "Das ist nicht das Badezimmer. Das ist das Duschzimmer!"

In unserem Haus verfügt nämlich nur das Badezimmer im Obergeschoß über eine Badewanne, das im Untergeschoß hingegen über eine Dusche. Mein Sohn ist ein großer Freund sprachlicher Klarheit. Er will nicht "Schatz", "Liebling", "Mausbär" oder "Amore" gerufen werden, er besteht darauf, mit seinem Vornamen angesprochen zu werden. "Typisch Jungfrau", meinte meine sternzeichenkundige Mutter. "Nein, Oma, ich bin ein Bub!", korrigierte er sofort.

Hätte ich mir beim Schreiben meines Romans mehr Beispiel an ihm genommen, hätte ich nun nicht so viel zu überarbeiten. Der Fasching macht jedenfalls unsere Unterhaltungen nicht leichter. "Wow, bist du eine hübsche Spinne!", sagte ich, als mein Sohn das Kostüm anprobierte. "Nein Mama, ich bin der –" "Ja, ich weiß, du bist der –", sagte ich und intonierte laut jenen Vornamen, den immerhin ich ihm gegeben hatte, "aber im Fasching bist du eine Spinne." "Nein Mama, ich bin immer ein Bub." "Verzeih, du bist ein als Spinne verkleideter Bub." "Nein Mama, ich bin der –", laut seufzend wiederholte er seinen Vornamen.

Dabei dachte mein Sohn wahrscheinlich das Gleiche, das mein Lektor denken wird, wenn er das von 750 auf 500 Seiten gekürzte, feinpolierte Manuskript bekommt: "Sie kann es ja eh! Warum bloß nicht gleich …"

Vea Kaiser

Über Vea Kaiser

Vea Kaiser ist die Autorin der Nr.1-Bestseller „Blasmusikpop“, „Makarionissi“ und „Rückwärtswalzer“. Ihre Bücher wurden vielfach preisgekrönt und in mehrere Sprachen übersetzt. Die studierte Altphilologin lebt mit Familie am Wiener Stadtrand und schreibt für die freizeit die wöchentliche Kolumne „Fabelhafte Welt“.

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