Vea Kaisers Kolumne: Telefonnummern im Tiergarten
Wie man sich motiviert, etwas loszulassen, das man eigentlich nicht loslassen will und kann.
Kommende Woche muss ich meinen Roman abgeben. Dieser Termin ist nicht mehr verschiebbar, da ich ihn schon zu oft verschob.
Mein Lektor im weit entfernten Köln wiederholte beim letzten Telefonat vierzehn Mal den Satz: "Es ist wichtig für dich, das Manuskript aus dem System zu bekommen." Das ist Lektorisch für: Wir können deine Ausreden nicht mehr hören und kennen dich lang genug, um zu wissen, dass du nur noch zwangsneurotisch an Sätzen herumfeilst, die wir dann sowieso streichen, also schei** dich nicht so an und schick das Ding rüber.
Auch mein Umfeld drängt auf baldige Abgabe. Wahrscheinlich ertragen meine Liebsten nicht mehr, wie ich mehrmals täglich himmelhoch jauchze, weil mir eine Szene so gut gefällt, um zehn Minuten später am Boden zerstört loszuheulen, wenn mir ein Wort fehlt.
Neulich flüchtete der Dottore Amore sogar mit den Kindern in den Zoo. Zurück zuhause klammerten sich zwei sehr dreckige, sehr zerzauste Buben an mich.
Der Dottore, der kaum Alkohol trinkt, machte sich ein Bier auf und erzählte: Der Einjährige blieb im Geländer vor dem Giraffengehege stecken. Der Dreijährige lag zehn Minuten lang heulend auf dem Boden, weil der Dottore kein Bargeld für den Tiergartenzug hatte. Ein Passant hatte Mitleid und steckte dem Dottore 5 Euro zu, woraufhin der Dreijährige entschied, Angst vor dem Zug zu haben und sich wieder heulend auf den Boden warf, weil er nicht einsteigen wollte.
Das hörend war ich froh, dass sie es wohlbehalten zurück zu mir nachhause schafften. Vor allem, als mir der Dottore erzählte, dass ihm passierte, was ihm in Diskos und beim Ausgehen so noch nie passiert war: "Urviele Frauen fanden die Kinder süß und wollten mir ihre Telefonnummer geben!" Nun bin ich bereit, abzugeben.
Es gibt keine bessere Motivation, um der Welt der Fantasie zu entsteigen, als wenn die reale Welt dich braucht.
Weitere Infos: www.veakaiser.de
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