Ausmisten im Papiertiger-Stall

Was sogar die leidenschaftlichsten Verfechter des kreativen Chaos motiviert, diesem zu Leibe zu rücken

Als ich unlängst eine halbe Stunde mit der Suche nach einem Buch verbrachte, dabei in ausgeronnenes Tipp-Ex trat und mich eine weitere halbe Stunde dem Beseitigen von Selbigem widmen musste, beschloss ich, mein Schreibzimmer aufzuräumen.

Der Dottore Amore schrie vor Glück: „ENDLICH! Der Papiertiger-Stall wird ausgemistet“. Er und ich haben auch nach sechs Jahren, zwei Hochzeiten und einem Kind verschiedene Vorstellungen von Ordnung. Ich finde es ordentlich, wenn Gläser und Kleidung in Kästen aufbewahrt werden. Mein Mann auch, wenn diese Gläser perfekt poliert und zu jeweils sechs von einer Form in Reih und Glied angeordnet sind, die Kleidung faltenfrei gebügelt sowie nach Farben, Schnitten und Anlässen sortiert ist.

Meine Definition von Ordnung: Alles hat seinen Platz. Seine Definition von Ordnung: Alles ist bereit, eine Parade in der Nervenheilanstalt für Zwangsneurotiker abzuhalten. Ich dachte übrigens immer, in eine solche müsse er sich begeben, sobald unser Bambino mobil wird.
Als Kind fand ich nämlich nichts spannender, als Regale auszuräumen. Aber die von meinem Mann eingebrachten 50 Prozent sind stark in unserem Nachwuchs: Ein prächtiges Durcheinander anzurichten, interessiert ihn nicht, stattdessen wird ein Ding an einen anderen Platz getragen, dort dem Baby-TÜV unterzogen (Kann es fliegen? Kann es schwimmen? Kann es Laut geben?) und dann zurückgetragen. Abends finden wir zuweilen Hausschuhe im Bidet und Kopfhörer im Hundenapf, aber Junior fabriziert keine babylonischen, in sich zusammenfallende Büchertürme und Papierstapel, unter denen der Hund seine Leckerli verrotten lässt, weil er sein Futter halt dry aged bevorzugt. Das ist das Monopol seiner Mutter. Und die traut sich nicht mehr, ihre Sauhaufen als „kreatives Chaos“ zu verkaufen, seit sie feststellte, dass sogar ihr einjähriger Sohn ordentlicher ist.

Vea Kaiser

Über Vea Kaiser

Vea Kaiser ist die Autorin der Nr.1-Bestseller „Blasmusikpop“, „Makarionissi“ und „Rückwärtswalzer“. Ihre Bücher wurden vielfach preisgekrönt und in mehrere Sprachen übersetzt. Die studierte Altphilologin lebt mit Familie am Wiener Stadtrand und schreibt für die freizeit die wöchentliche Kolumne „Fabelhafte Welt“.

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