Vea Kaiser

Echte Wiener Badefreuden

Warum die schönsten Ecken der Stadt dort sind, wo sich ihre Bewohner untypisch verhalten und dabei nass werden

Ein Mal pro Woche packe ich die Badetasche, belade den Kinderwagen mit Snacks und bringe meinen Sohn an unseren  Lieblingsort: ins Freibad. Er schätzt die Kleinkinder-Wasserrutsche und die bunten Bögen über dem Babybecken, aus denen es tropft und spritzt. Ich wiederrum verehre die dort anzutreffende Menschenspezies: die Freibad-Wiener. Die Bewohner dieser Stadt sind normalerweise nicht geneigt, die Realität stoisch und kommentarlos zu akzeptieren. Gepflegtes Sudern und Raunzen gehört dazu, besonders und vor allem über das Wetter.

Doch Freibad-Wiener kennen keinen Schmerz. Mutig schreitet man ohne Zögern ins kalte Wasser, furchtlos wird die rundum eingeölte Lederhaut der prallen Mittagssonne präsentiert und ein leichtes Nieseln ist kein Grund, das Kartenspiel zu unterbrechen, um Campingstühle und Kühlbox auf den Trolley zu schnüren. Statt am Stammtisch des heißen Beisls versammeln sich die hartgesottenen Jahreskartenbesitzer an den Stehtischen des Buffets. Ab halb zehn purzeln die Kronkorken von den Bierflaschen und zwei Eigenschaften macht die wie Fabrikschlote rauchenden Stehtisch-Trinker ganz besonders faszinierend. Obwohl Badebekleidung tragend, habe ich noch keine oder keinen je im Wasser gesehen. Und zudem scheinen sie die weltweit einzigen Badegäste zu sein, die immun gegen den verführerischen Fettduft von Freibadpommes sind.

 Ein paar Meter weiter staut es sich ab Mittag auf der Wasserrutsche. Jugendliche erleiden Hormon-Frühling im Hochsommer. Am Beckenrand präsentieren Damen und Herren, wofür  sie den Winter über lang im Fitnessstudio geschwitzt und viel Geld im Tattoostudio ausgegeben haben. Überall zu besichtigen: die besten Seiten der Wiener Wurstigkeit, wo jede jedem seinen Spaß lässt. Ach, Wien du hast so viele schöne Ecken. Aber nirgendwo bist du sympathischer als im Freibad.
 

Vea Kaiser

Über Vea Kaiser

Vea Kaiser ist die Autorin der Nr.1-Bestseller „Blasmusikpop“, „Makarionissi“ und „Rückwärtswalzer“. Ihre Bücher wurden vielfach preisgekrönt und in mehrere Sprachen übersetzt. Die studierte Altphilologin lebt mit Familie am Wiener Stadtrand und schreibt für die freizeit die wöchentliche Kolumne „Fabelhafte Welt“.

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