Die Beförderung zur Oma
Warum man als Tochter zwischen Entsetzen und Erstaunen schwankt, wenn die eigene Mutter die Freuden des Oma-Seins auskostet
Meine Mutter legte großen Wert darauf, dass wir mit Essen sorgsam umgingen. In meiner Kindheit erklang der Refrain: „Mit Essen spielt man nicht.“ Wenn ich mir die Wertschätzung ansehe, die mein Bruder und ich Nahrungsmitteln gegenüberbringen, stelle ich fest, dass sie das gut gemacht hat. Ich versuche deshalb, mir als Mama ein Beispiel an meiner eigenen zu nehmen.
Doch meine Mutter WAR mal meine Mutter. Mittlerweile ist sie die Oma meines Kindes. Meine Mutter achtete penibel darauf, dass wir nur mit einem saubren Löffel ins Marmeladenglas tauchen. Die Oma meines Sohnes nimmt seinen Zeigefinger und steckt ihn tief in die einkochten Marillen: „Und jetzt abschlecken!“ Meine Mutter schimpfte uns, wenn wir unsere Kleidung absichtlich dreckig machten. Die Oma meines Sohnes lässt ihn ohne Lätzchen essen: „Mit so einem Klumpert um den Hals kann man ja nicht schlucken.“ Meine Mutter erlaubte uns erst aufzustehen, wenn wir aufgegessen hatten. Die Oma meines Sohnes läuft ihm mit dem Teller hinterher, auf dass er essen kann, wann und wo ihm beliebt: „Wir haben heute keine Zeit zum Sitzen, wir müssen so viel spielen.“ Meine Mutter diskutierte nicht mit uns über den Speisenplan: „Gegessen wird, was auf den Teller kommt.“ Die Oma meines Sohnes offeriert allzeit Alternativen: „Schmeckt dir das fade Gemüserisotto von deiner Mama nicht? Na komm Zwutschgerl, die Oma macht dir einen Milchreis mit Kakao!“
Ich beobachtete dies, schwankend zwischen Ungläubigkeit und Entsetzen. Bis mich mein Mann an den Spruch auf dem Frühstückshäferl erinnerte, das ich meiner Mutter zu Weihnachten schenkte: Nur die besten Mütter werden zur Oma befördert. Beförderungen sind in der Regel mit einer Lohnerhöhung verbunden. Die Be-Lohn-ung meiner Mutter, zwei Kinder gut erzogen zu haben: Das Enkelkind nun uneingeschränkt verwöhnen zu dürfen.
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