Der Gertrude-Gau
Wenn Mütter sich sexuell neu orientieren.
Bitte ein Sauerstoffzelt!“, flüsterte sie und ließ sich in einen Korbsessel plumpsen. „Steuerprüfung, Geschlechtskrankheit oder einfach nur so ein Leben-warum-bist-du-so-anstrengend-Gefühl?“, frage ich K. „Wenn’s nur das wäre, aber meine 68-jährige Mutter hat mir eben mitgeteilt, dass sie jetzt mit einer Frau namens Gertrude zusammenlebt und sie noch nie solche Gefühle für einen Menschen hatte. Mein armer Vater!“
Es konnte ihn nicht mehr direkt erschüttern: Ks Mutter war seit einigen Jahren verwitwet, glücklich verwitwet, muss man etwas pietätlos hinzufügen. „Du Miesepetra, das ist doch großartig“, rügte ich sie, „freu dich, dass die Mamsch der Liebe noch einmal zuzwinkert! Willst du, dass deine Mutter in einem Leben zwischen medizinischen Befunden, Apfelkuchen und so einer Die-Rosen-blühen-heuer-wieder-sehr-schön-Milde herumturnt? Außerdem sind wir alle angeblich bisexuell, manche leben es halt nicht aus.“ – „Lesbisch, bi oder hetero ist mir total egal, aber diese Gertrude ist jünger als ich und trägt Bomberjacken und einen Nasenring.“ – „Dass Männer im Opa-Alter Drittfamilien mit Mittdreißigerinnen gründen, darüber hingegen verschwenden wir keinen Herzschlag des Staunens mehr.“ – „Wenn’s saublöd rennt, heiraten die auch noch.“
Hier hoppelte der Hase: Keine lustfeindliche Engstirnigkeit war die Ursache für die Gertrude-Phobie, sondern die Panik um das Erbe einer Eigentumswohnung. Aber auch hier eine kleine Überraschung: Die Mutter hatte die Wohnung bereits inseriert, weil sie mit Nasenring-Gerti ein Jahr um die Welt fahren wollte. Aber, wie sich drei Gin ’n’ Tonics später herausstellen sollte, war die allergrößte Kränkung, dass der neue Lebensinhalt das gleiche Lieblingsgericht hatte wie K: Marillenknödel. Und diese auch wöchentlich bekam. „Sie hat doch mich, was braucht sie denn jetzt eine Ersatztochter?!“ Einmal Kind, immer Kind.
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