Von Luxusresidenzen über Katzen-Terrassen zu schimpfenden Hunden

Ein Spaziergang durch Döbling. Was man da alles sieht. Von Geheimtipps zum Grab von Thomas Bernhard.

Ich komme von Pötzleinsdorf, gehe die Khevenhüllerstraße bergauf und muss sofort wieder stehenbleiben. Auf Nummer vier ist der Garten nämlich inzwischen vollkommen zugewachsen, und die Aufforderung, das Tor „bitte langsam“ zu schließen, muss ein Witz sein.

Dieses Tor wurde schon lange nicht mehr geöffnet und geschlossen. Das hübsche Biedermeieranwesen hinter dem Wildwuchs dunkler Nadelhölzer wurde offensichtlich dem Verfall preisgegeben. Ich wette eine hohe Summe, dass auf diesem schönen Grundstück trotz bestehender Schutzzone nichts mehr unternommen wird, um die bestehende Substanz zu retten. Stattdessen sehe ich nach dem „leider unvermeidbaren Abriss“ schon die nächsten „Luxusresidenzen“, die in „historischer Prachtlage“ (so oder so ähnlich klingt die Verkaufsprosa der Immo-Tandler) entstehen werden. Wer mich eines Besseren belehren kann, bekommt einen Almdudler light.

Durch Döbling treiben lassen

Jetzt mache ich etwas Interessantes: Ich lasse mich treiben. Biege nach rechts, dann nach links ab und fädle in die schmale, schattige Strehlgasse ein, die mich vorbei an Waldstücken, Sechzigerjahrbungalows, Hintergärten und windschiefen Werkstätten hinunter zur Krottenbachstraße bringt, ein kleines Paradies für den Promenadologen. Die Krottenbachstraße überquere ich und nehme gleich die nächste Abzweigung, den Kranlweg, der mich durch eine schicke Kleingartensiedlung führt, wo sogar die Schrebergartenhütten sich anstrengen, nach Döbling auszusehen.

Ich spaziere die Kliergasse entlang und bewundere die Wohnanlagen, von deren Terrassen die Bewohner direkt auf die Weinberge des Hackenbergs schauen können (wenn sie die Terrassen nicht ihren Katzen und der trocknenden Wäsche überlassen), dann entscheide ich mich für den Weg nach oben und biege in die Siolygasse ein, die hinauf auf den Hackenberg führt, zuerst gesäumt von Häusern mit markanten Dächern, dann geht die Gasse in einen schmalen Fußpfad über, der zwischen Thujenhecken und blickdicht verpackten Gartenzäunen überraschende Einblicke in Döblinger Samstagnachmittage gibt: Sie verlaufen weitgehend ruhig. Ich kann weder Menschen hören noch Menschen sehen, nur ein kleiner Hund schimpft mit der Hitze.

Von der Sieveringer Straße biege ich jetzt in die Windhabergasse ein und gehe von dort den steilen Schulsteig hinauf, wo auf einer versteckten Bank ein junges Pärchen Zweisamkeit sucht. Weitere Thujenhecken links, weitere blickdicht verpackte Zäune rechts in der Schattenstille, dann beginnt der Abstieg nach Grinzing, und hier ereignet sich das Wunder, das nur dem Wiener Hinterzimmerwanderer widerfährt: Plötzlich reißt vor mir ein Panoramablick auf, dessen Hintergrund von Kahlen- und Leopoldsberg bestimmt wird, während im Vordergrund die schlanke, neobarocke Kaasgrabenkirche ins Bild wächst, wie sie sich kein Lüftelmaler besser hätte ausdenken können.

Die Kirche hat übrigens eine witzige Geschichte, davon ein anderes Mal. Ich muss noch ein paar Schritte weiter auf den Grinzinger Friedhof gehen, um Thomas Bernhard meinen Besuch abzustatten.

Die Route

Pötzleinsdorf – Khevenhüllerstra?e – Strehlgasse – Krottenbachstraße – Kliergasse – Siolygasse – Blanche-Aubry-Weg – Windhabergasse – Schulsteg – Kaasgrabengasse – Grinzinger Friedhof: 5.000 Schritte

Christian Seiler

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