Warum der Platz zwischen Fußgängern, Öffis und Autos dringend gerechter aufgeteilt gehört
Ein Spaziergang vom Radetzkyplatz bis zum Schottenring.
Ich komme vom Radetzkyplatz und gehe zuerst die Radetzkystraße entlang, dann an der „Tintenburg“ vorbei, dem Klimaschutzministerium, an dessen Seite eine riesige Fahrradaufbewahrungsanlage entstanden ist, wie es sich für ein grün geführtes Ministerium gehört, gehe hinüber zur Urania, um dem Verkehrschaos von Vorderer Zollamtsstraße und Uraniastraße zu entkommen, quäle mich über den Stubenring und gehe dann an der Häuserzeile des Franz-Josefs-Kais entlang, auf einem schmalen Gehsteig, neben dem sich zwei Straßenbahngleise, ein symbolischer Grünstreifen und sechs Autospuren sortieren, bevor es steil hinunter zum Donaukanal geht.
Wer hier zu Fuß geht, begreift, dass der zur Verfügung stehende Platz zwischen Fußgängern, Öffis und Autos dringend gerechter aufgeteilt gehört. Ich überquere die Biberstraße, zwischen Straßenbahn und Gehsteig fädelt sich eine Nebenfahrbahn ein, auf der mich ein Motorrad überholt, und ich denke mir, würde ich zu Hause in dieser Lautstärke Musik spielen, riefen meine Nachbarn mit Sicherheit die Polizei, und mit was? Mit Recht.
Aber ich will nicht nörgeln, deshalb überquere ich auch schnell den Schwedenplatz, dessen Umgestaltung sich zieht wie ein Strudelteig, und gehe weiter am Kai entlang, vorbei am „Gotischen Haus“ Ecke Gölsdorfgasse, wo am 1. November 1883 der Dichter Hermann Broch geboren wurde – Respekt, Herr Dichter – bis schließlich die U-Bahnstation Schottenring in Sicht kommt und neben mir der Ringturm senkrecht in den Himmel wächst. Er ist seit Mai in ein neues Gewand gekleidet, das ihm die ungarische Künstlerin Dóra Maurer angemessen hat: ein Muster aus waagrechten, senkrechten und schrägen Streifen, die miteinander ein bezauberndes Geflecht von Farben und Formen ergeben. Maurer nennt ihr Kunstwerk „Miteinander“ und sieht im Zusammenspiel der Farben „die Vielstimmigkeit Mitteleuropas“, und ich finde, man kann ihr folgen – oder auch etwas ganz anderes im verhüllten Ringturm entdecken. Die Kunst stellt uns das ja bekanntlich frei.
Dann beschließe ich, ein anderes Kunstwerk, das hier seine Heimat hat, genauer in Augenschein zu nehmen: Das „Wiener Trio“ des amerikanischen Architekten Philip Johnson, das dieser für seine Ausstellung im MAK 1996/97 konzipiert hatte. Es steht seit 1998 auf dem von Autos und Tramways umtosten Zwickel zwischen Straßenbahntrassen und den Fahrbahnen des Schottenrings und des Franz-Josefs-Kais. Die großartige, dreiteilige Plastik hat eine strenge, formale Schönheit, und ich kann jeder und jedem, die sich über die Fahrbahnen hierher zu springen trauen, nur empfehlen, den Platz in der Mitte der Skulptur aufzusuchen und entlang harmonischer Linien in den Himmel zu schauen: Es wartet, das kann ich versprechen, ein in jeder Hinsicht harmonisches, ja poetisches Erlebnis. Ich stehe also vor dem Wiener Trio und betrachte von hier aus den verhüllten Ringturm. Ich bin sicher, die beiden sind längst miteinander befreundet, und ich mit ihnen auch. Autos fahren vorbei, irgendwer ruft: „Hast dich verirrt?“ Nein. Habe ich nicht.
Die Route
Radetzkyplatz – Radetzkystrasse – Franz-Josefs-Kai – Schottenring: 3.000 Schritte
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