Was den Prater und die Hauptallee ausmacht

Von der Jesuitenwiese bis zum Unteren Heustadlwasser: Christian Seiler erkundet Wien zu Fuß.

Nach einem Sommer, in dem ich eine beachtliche Zahl von Ländern bereist habe, bin ich zurück in Wien und gehe durch den Prater. Weil Ihr fragt: Ich war in Deutschland, und zwar nicht nur in der Münchner Gegend, die ich besser kenne als die Outskirts vom Simmering, sondern in Lübeck und Hannover, wo ich das fantastische Schloss Derneburg besuchte, indem die Kunstsammlung von Georg Baselitz ausgestellt ist. Ich war im Norden von Dänemark, im Süden von Schweden, im Westen von Polen – Wrocław war eine ungeheuer positive Überraschung für mich – durchquerte die Slowakei, suchte den Westen Österreichs auf, das Engadin und schlussendlich Venedig. Jetzt gehe ich dem Heustadlwasser entlang und bin froh, dass ich zu Hause bin. 

Ihr kennt das ja: nach Hause kommen ist immer mit Pflichten behaftet. Der Postkasten will ausgeräumt und die Waschmaschine eingeräumt werden. Irgendetwas ist im Kühlschrank geblieben, das dort nicht hingehörte. Die vielen Zeitungen und Magazine, die ich wieder einmal abzubestellen vergessen hatte, blicken mich an und sagen: Lies mich, wozu hast du mich gekauft? Und weil ich diese Aufforderungen als in der Wolle gefärbter Zeitungsfetischist nicht ertragen kann, lese ich, nehme also auch diese Pflichten wahr, und denke mir nachher, vielleicht hätte ich doch nicht alles lesen müssen.

©Klobouk Alexandra

Das Zuhause will nach dem Urlaub zurückerobert werden, ist ein bisschen beleidigt, will gepflegt werden. Deshalb gehe ich in den Prater.  Die Kastanien sind reif. Wenn man die Hauptallee entlang geht, muss man aufpassen, dass man keine auf die Birne bekommt. Ich kann mein Lieblingsspiel spielen und mit frisch geschlüpften Kastanien auf die aus Parkbänken formierten Tore zielen, eine Angewohnheit, deren kindische Grundierung möglicherweise nicht zu den Jahresringen unter meinen Augen passt. Ich gehe am Heustadlwasser vorbei, dass an seinen Enden vorschriftsmäßig nach Kanal riecht, aber an den Ufern ein geradezu idyllisches Bild abgibt. Ich treffe Andreas, der mir jahrelang die Haare geschnitten hat, und wir setzen das Gespräch, dass wir vor sieben Jahren beendet haben, ansatzlos fort.

Die Schritte fallen mir leicht. Das Grün ist dicht. Nur einzelne Bäume bilden sich ein, rascher als die anderen ihr Laub zu verfärben und sich auf diese Weise ins Schaufenster zu stellen. Weil die Luft feucht und die Temperatur angenehm ist, hänge ich an meinen gewohnten Spaziergang noch das Scherzerl an, das um jenen Teil des Heustadlwassers führt, der jenseits der Hauptallee liegt und mich an die nördliche Grenze des Praters bringt. Ein paar Krähen beobachten mich mit schiefgelegten Köpfen. Dort, wo auf dem Geländer der Hinweis „Wasservögel füttern verboten“ angeschraubt ist, lehnen zwei Männer aus dem nahen Gemeindebau und füttern die Enten. „Ich bin froh, dass der Sommer vorbei ist“, sagt der eine. „Muss ich nicht mehr ins Bad gehen.“ „Ich auch“, sagt der andere. „Ich hab jetzt wieder vom Bier auf Wein umstellen können.“ 
Es besteht kein Zweifel. Ich bin wieder zu Hause. 

Die Route

Jesuitenwiese – Hauptallee – Oberes Heustadlwasser – Unteres Heustadlwasser: 3.600 Schritte

Christian Seiler

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