Seilers Gehen: Ein Spaziergang an der Donau

Wenn das Tun mit dem Sein verschmilzt, ist die Frage nach dem Sinn des Lebens überflüssig geworden.

Ich gehe vom Alberner Hafen stromabwärts. Der Friedhof der Namenlosen – ursprünglich an einer Strombucht gelegen, wo die Donau die Körper der Ertrunkenen angeschwemmt hatte, sodass ein gutes Herz beschloss, ihnen dort eine Ruhestätte zu bereiten – befindet sich jetzt hinter einem monumentalen Hochwasserdamm, über den der Fahrweg zu den Fischerhütten der Reviere Albern und Mannswörth geführt wird. Auch zwei Daubelhütten, die mutmaßlich nahe am Wasser gestanden sind, haben hinter dem neuen Damm die Aussicht auf die Donau eingebüßt. Ein kühler Wind begleitet mich auf meinem Weg.

©Klobouk Alexandra

Zuerst halte ich Blickkontakt mit der Donauinsel, deren südöstlichen Spitz ich bereits im Auge habe. Dann halte ich mich an die Fischerhütten, die mit den traditionellen viereckigen Netzen ausgerüstet sind, den Daubeln. Ein Herr, der gerade dabei ist, sein Häuschen aus dem Winterschlaf zu holen, sagt mir: „Fangen tuast eher nix. Oba bled aufs Wossa schaun tuast scho. Gibt nix schenas.“ 
Ich beneide den Mann um seine Weisheit. Wenn das Tun mit dem Sein verschmilzt, ist die Frage nach dem Sinn des Lebens überflüssig geworden. Ich betrachte neidisch die Sitze der Fischer, von denen aus sie ihrer philosophischen Tätigkeit nachgehen können, und natürlich bleibt mir nicht verborgen, wie viel Aufwand und Liebe in die Verschönerung der kleinen Grundstücke am Donauufer geflossen ist. Für Botschaften an vorbeigehende Spaziergänger und willkommene Besucher ist reichlich gesorgt. 

 

„Im Himmel gibt’s kein Bier / drum trinken wir es hier“ zum Beispiel, als Variation des Carpe-diem-Motivs, oder auch humorige, aber vielleicht auch nicht nur humorig gemeinte Warnungen: „Vorsicht frei laufender Hund. Wenn Hund kommt, sofort auf den Boden legen und warten, bis Hilfe kommt. Kommt keine Hilfe, viel Glück.“ Oder, unter dem Bild eines Bullterriers: „Du siehst mich nicht/Du hörst mich nicht/Aber glaub mir: ICH BIN DA!“ Anderswo lautet die Warnung so: „Achtung tieffliegende, bissige Wildenten. Nur in gebückter Haltung vorbeigehen.“ Das vielleicht brutalste Schild zeigt, schwarz auf gelb, einen Besen und eine Schaufel und die Ankündigung: „Kehrwoche“. Aber mein Lieblingsspruch ist auf ein meterbreites Banner aufgespannt. Die mit riesigen Lettern geschriebene Weisheit lautet: „Wenn nichts passiert, waren wir das.“ In unseren Zeiten ein Versprechen, an das ich mich gerne halte. 
Ich gehe, bis der Uferweg in einem Wäldchen versickert und vor einem Seitenarm der Donau am Daubelfischerspitz endet. Ein weiteres Transparent protestiert gegen die MA49, die Magistratsabteilung, die u. a. für die Fischerei zuständig ist, es gibt Auffassungsunterschiede über die Besitzverhältnisse am Donauufer. Die Sonne steht hoch, die Donau ist ausnahmsweise wirklich blau, flussaufwärts sehe ich die Stromsperre des Kraftwerks Freudenau und wie ein Ausrufezeichen den neuen Marina-Tower. Ich gehe zurück zum Alberner Hafen, philosophisch gestimmt, also darüber rätselnd, wo ich das Bier wohl trinken werde, das hier und nicht im Himmel auf mich wartet. 

Die Route

Alberner Hafen – Daubelfischerspitz – Alberner Hafen: 8.000 Schritte

Christian Seiler

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