Seiler Gehen: Ein Spaziergang über die Donauinsel

Entweder wandelt man allein über die Donauinsel oder trifft andere Stadtnomaden.

Ich gehe über die Donauinsel. Steige von der im Innenleben der Reichsbrücke versteckten U-Bahnstation über die windgeschützten Stiegen hinunter, dann spüre ich schon den Winterwind. Er ist grob, böig und kalt, aber er ist auch unterhaltsam. Er spielt mit mir, so wie er mit den Skateboardfahrern spielt, die er schubst und stößt. Zwei von ihnen tragen kurzärmelige T-Shirts, damit man ihre blassen Oberarme besser sehen kann.

Da mir der große Willi Resetarits beigebracht hat, dass es nie zu spät für eine glückliche Kindheit ist, spiele ich mit. Lasse mich vom Wind stoßen, stoße zurück, und wenn ich dann ins Leere taumle, höre ich den Wind lachen, und Lachen ist bekanntlich ansteckend.  

Den genervten Radfahrern, die mit mir in Richtung Klosterneuburg brausen, haut der Wind ihren Temposchnitt zusammen, den Sie sich für den heutigen Ausflug vorgenommen haben. Sie sind gegen den Wind deutlich langsamer als mit dem Wind schneller. 
 

Ich verstehe den Spaß, den sich der Wind macht, und betrachte die Silhouette der Donau City. Sie verändert sich. Vor dem Hochhaus mit dem charakteristischen, weißen Segel schraubt sich ein neues Hochhaus in die Höhe. Ob es mir gefallen wird, weiß ich noch nicht, dafür muss es noch wachsen. Bis dahin erfreue ich mich an den glänzenden Flächen des schwarzen DC-Towers, dessen Eleganz wohl nicht mehr übertroffen werden wird. Der Wind hat die Wolken der letzten Tage weggeblasen, das Panorama ist frisch gewaschen und poliert. Das Interessante an der Donauinsel ist ja, dass man ein paar hundert Meter von der U-Bahnstation entfernt entweder allein ist oder höchstens in Gesellschaft anderer Stadtnomaden.  Ist man in der Laune, unvermuteten Biografien nachzuspüren, lohnt es sich, abseits der asphaltierten Wege ins Unterholz zu spazieren. Kann sein, dass man dort plötzlich auf die Terrasse eines anonymen Donauinselbewohners steigt, der hier sein Zelt aufgestellt hat, von uns nichts wissen will, außer, dass wir ihn in Ruhe lassen und uns bitte wieder schleichen sollen.
 

Als ich auf der Höhe des Donauturms bin, sehe ich am Floridsdorfer Ufer die Badeanstalt „Usus am Wasser“, die im flackernden Winterlicht seltsam nutzlos aussieht mit ihren Terrassen und Wasserrutschen, auf denen nur der Nordwestwind seinen Spaß hat. Ein bisschen weiter noch, und ich sehe das kerzengerade Minarett und die Kuppel des Islamischen Zentrums am Bruckhaufen, der ersten in Österreich gebauten Moschee. Aus irgendeinem Grund habe ich mir gemerkt, dass die Bauarbeiten vom Opernballbaumeister Lugner besorgt wurden.

Die Information ist in jenem Überlaufbecken meines Gehirns abgelegt, wo sich auch die Fußballergebnisse aus den Achtzigerjahren befinden, die ich einfach nicht vergesse. 
Ein Fischer, ganz in Camouflage, hat sich neben einem Betonmistkübel sein Zelt (Camouflage) aufgebaut, damit er in dessen Schutz ungestört rauchen kann. Seine zwei Angeln sind vorne am Wasser im Automatikbetrieb. Nur das Feuerzeug funktioniert nicht. Der Wind lacht. Ich lache mit.

Christian Seiler

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