Kein Yoga, kein Sport: Wie Selbstfürsorge wirklich funktioniert
Was der Unterschied zwischen Me-Time, Selbstoptimierung und echter Selbstfürsorge ist, erklärt Psychotherapeutin Nina Mouton in ihrem Bestseller.
Kerzen anzünden, Badewasser einlassen, Yoga-Übungen machen. Zwei Mal die Woche in Pilates schwitzen oder ein Impulskauf in der Boutique. Nein, so funktioniert Selbstfürsorge meistens nicht, erklärt Nina Mouton in "Echte Selbstfürsorge ist eine radikale Entscheidung für dich selbst". Das Buch der Psychologin und Psychotherapeutin war in Belgien ein Bestseller, jetzt erscheint es erstmals in deutscher Sprache.
Es brauche echte Fürsorge und Ehrlichkeit, um zu erkennen, was man wirklich benötigt, so Mouton, die auch in ihrem Podcast über Self-Care und Kindererziehung spricht.
"Nur wenn Sie auf sich selbst aufpassen können, können Sie eine wirkliche Verbindung zu sich selbst und anderen um Sie herum herstellen. Da fängt es an. Und dafür müssen wir uns selbst wirklich kennen."
Das geht nicht ganz so schnell wie ein entspannendes Bad, soll sich dafür aber nachhaltig lohnen.
Ratschläge von Mouton
Wie das funktioniert? Einige Tipps und Ratschläge aus Moutons Buch:
Zunächst einmal mit Mythen aufräumen. Wie etwa, dass Selbstfürsorge egoistisch ist. Dass man labil und faul ist, wenn man sich um sich selbst kümmert.
Wer sich Zeit nimmt, über seine Gefühle nachzudenken, ist nicht faul, es erfordert sogar große Anstrengung und Stärke, so die Psychologin. Nur wer auf sich selbst hört, kann in der Welt bestehen. Damit man am Ende eben nicht auf ein Burn-out zusteuert.
Reizüberflutung
Zunächst beginnt Selbstfürsorge laut Mouton damit, Gefühle zuzulassen. Signale, die der Körper sendet, auch zu erkennen, ist ein wichtiger Schritt. Etwa, wenn Reize einen überfluten. Das fühlt sich bei jedem anders an und sollte nicht unterschätzt werden. Schlaflosigkeit, Unruhe und Angstzustände können Symptome sein.
Erste Hilfe: Wer eine Reizüberflutung bemerkt, kann natürlich Yoga oder Atemübungen machen. Oft sind es aber kleine alltägliche Dinge wie das achtsame Gemüseschneiden, das einen wieder runterkommen lässt. Einprasselnde Geräusche so gut wie möglich eliminieren und die Kinder bitten, Kopfhörer beim Fernsehen aufzusetzen. Scrollen auf Facebook oder Instagram stoppen. In der Arbeit einen Stressball drücken oder daheim sein Lieblingsgericht in aller Ruhe kochen.
Es geht darum, die Überflutung nicht hinzunehmen, sondern sie schon im Kleinen zu tilgen.
Reizarme Aktivitäten können guttun, wie Spazierengehen oder im Garten arbeiten.
Ständiges Grübeln stoppen
Auch zu viele Gedanken können zu Reizüberflutung führen. Einkaufen, Termine beim Arzt, ständige Nachrichten, Emails, einen Bericht in der Arbeit noch fertig machen müssen.
Wer von seinen Gedanken übermannt wird, sollte sie sich aufschreiben. Das Grübeln zu stoppen ist wichtig, vor allem wenn man sich über mögliche zukünftige Ereignisse Gedanken macht und eigentlich gar nicht weiß, ob überlegte Szenarien wirklich eintreffen, gibt die Psychologin zu bedenken. Wer sich eine Liste macht, hat greifbarere Gedanken und sie schwirren nicht verloren im Kopf herum. Das zu Papier bringen von Gedanken hilft hier oft Wunder, so Mouton.
Kleine Traumata aufarbeiten
Wenn sich Lebensereignisse häufen, die einen unter Strom stehen lassen, kann oft wenig dagegen getan werden, außer dass man sanft zu einem selbst ist. Im Buch wird aber auch skizziert, dass einen nicht nur äußere Ereignisse, sondern auch individuelle Eigenschaften anfälliger für Stress machen.
Bei einem Trauma denkt man sofort an große Traumata wie Missbrauch, Scheidung oder ähnliches. Allerdings können auch kleinere prägende Ereignisse unser Leben beeinflussen. Mouton bezeichnet sie als blaue Flecken, die ein Leben lang empfindlich bleiben. Sie können soziale Ängste oder Bindungsängste hervorrufen.
Was hilft: Seine blauen Flecken erforschen und sie sich vergegenwärtigen, um sie kontrollieren zu können. Es geht um den eigenen Kern, der oft verletzlich macht.
Verletzlich machen
"Nur wenn du selbst verletzlich bist, kannst du echte Beziehungen aufbauen. Echte Verbundenheit entsteht, wenn man Sorgen und Unsicherheiten teilt. So können uns auch andere sehen, mit allen Ecken und Kanten", so Mouton. Man schlüpft zudem nicht in die Opferrolle, nur wenn man sich in gewissen Punkten verletzlich zeigt.
Muster aufdecken
Erfahrungen in der Kindheit halten einen meist ewig in Mustern gefangen. Oft bemerkt man nicht einmal, dass bestimmte Muster ständig wiederholt werden. Indem sie aufgedeckt werden und man weiß, woher sie kommen, können sie auch durchbrochen werden. Sich mit einem selbst und seinen Reaktionen zu beschäftigen, ist ungemein erkenntnisreich, ist sich die Psychotherapeutin sicher.
Das innere Kind gut behandeln
In jedem von uns steckt dieses innere Kind mit blauen Flecken. Hilfreich ist, mit ihm in Kontakt zu treten. Was hat Angst gemacht, was wütend, was fröhlich? Das innere Kind sollte man sanft behandeln und beruhigen, vielleicht einen Brief aus dem Erwachsenendasein schreiben, rät die Autorin.
Mantras entgegensetzen
Sich um sein Kind kümmern heißt auch, die inneren Stimmen anzuerkennen. Man kann ihnen aber sanfte Mantras entgegensetzen. Ein Beispiel der inneren Stimme: "Ich darf mich nur ausruhen, wenn ich genug gearbeitet habe." Das sanfte Mantra könnte entgegnen: "Selbstfürsorge hängt nicht von Leistung ab. Sie ist ein Bedürfnis, das ich zu jeder Zeit spüren und befriedigen darf."
Der Impuls, dieses Buch zu schreiben, kam Nina Mouton nach ihrer Ausbildung zur Psychotherapeutin. "Ich lernte Dinge über mich selbst, die mich zum Nachdenken brachten: Warum ist dieses Wissen nicht weiter verbreitet? Warum kennen wir Begriffe wie Bindung nur so oberflächlich? Muster zu durchbrechen ist so wichtig, um inneren Frieden zu finden, nahe bei uns selbst zu bleiben, Grenzen zu setzen und wirklich unser eigenes Leben zu leben."
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