Frühling kann auch anders: So wirkt sich das Frühjahr auf die Psyche aus
Für Menschen, die an Depressionen erkrankt sind, kann der Frühling zur Herausforderung werden. Weil der Kontrast zum „Rest der Welt“ noch deutlicher wird – und besonders schmerzt.
Alles grünt und blüht, viele gehen raus, sind fröhlich und träumen davon, sich zu verlieben. Doch in manchen Menschen bleibt es dunkel. An Depression Erkrankte können dem Frühling oft nichts abgewinnen. Sie empfinden diese Phase des Jahres als besonders bitter.
Die Gründe dafür sind unterschiedlich. Da ist der Kontrast zum Rest der Welt, der nun noch deutlicher wird. „Während alles wieder zu wachsen beginnt, stellen Menschen, die an Depression erkrankt sind, fest, dass in ihnen nichts wächst. Das Schöne und Blühende wahrzunehmen, gelingt ihnen nicht, weil sie in ihrem Tunnelblick gefangen sind. Das bedeutet mehr Stress als Erleichterung“, sagt die Psychotherapeutin Béa Pall.
Ähnliche Erfahrungen hat Antonia Keßelring, Leiterin der Telefonseelsorge Österreich: „Viele denken, dass bei uns vor allem in der dunklen Jahreszeit viel los ist, doch wir werden auch im Frühling und Sommer sehr häufig kontaktiert. Die Annahme, dass es den Menschen besser geht, sobald es hell wird, ist falsch. Im Gegenteil: Für viele wird es gerade jetzt belastender – auch wegen des allgemeinen Erwartungsdrucks.“
Abgeschnitten
Während gesunde Menschen jetzt aktiv werden, schaffen das Depressive nur bedingt. Sie fühlen sich dann noch mehr abgeschnitten. „Während des ersten Lockdowns im März 2020 meinten viele Anrufer, dass sie froh wären, weil jetzt alle drinnen sein müssten. Nach den Öffnungen schwand dieses Gefühl, in einem Boot zu sitzen, wieder“, so Keßelring. Da waren jene, die die Kraft hatten, ihr Leben zu gestalten. Und die anderen, denen wieder alles zu viel wurde.
Im Frühling ist wieder mehr Energie da, doch die innerliche Verfasstheit ist immer noch so dunkel wie vorher.
In einer großen Studie der University of Nottingham – 2023 im Magazin „Nature Translational Psychiatry“ veröffentlicht – konnten Forscher zeigen, wann sich Suizidgedanken im Laufe eines Jahres häufen. Es zeigte sich zwar eine Kumulation im Winter, in die Tat umgesetzt wurden diese – zeitversetzt – häufig erst an einem bestimmten Kipppunkt im Frühjahr. Ein scheinbares Paradoxon, das Keßelring so erklärt: „Im Frühling ist wieder mehr Energie da, doch die innerliche Verfasstheit ist immer noch so dunkel wie vorher.“
Emotionaler Kalender
Ein Klassiker im Frühjahr sei außerdem die „umgekehrte SAD“. So nennt John Sharp, Psychiater an der Harvard Medical School, das Gegenstück zur saisonal abhängigen Depression (SAD), wie sie für die lichtarmen Monate charakteristisch ist.
Dabei kommt es auch in der hellen Jahreszeit zu depressiven Symptomen. Sharp begründet das mit einem „emotionalen Kalender“, den jeder Mensch in sich trägt. Beeinflusst wird er zum Beispiel durch die kulturellen Erwartungen in Bezug auf das, was wir zu einer bestimmten Jahreszeit fühlen sollten, verstärkt durch die sozialen Medien und all die Fotos von glücklichen Menschen und blühenden Bäumen. „Da wird viel von außen suggeriert, im Sinne eines Performance- und Optimierungsdrucks“, so Keßelring. Die mit dem Frühling verbundenen erhöhten sozialen Interaktionen erleben emotional fragile Menschen als schwierig und stressig.
Chaos innerer Abläufe
Jahreszeitliche Verstimmungen gibt es auch im Hochsommer, vier bis sechs Prozent der Bevölkerung sind von einer „Sommerdepression“ betroffen. Forscher der Medizinischen Universität Graz machen dafür unregelmäßige Schlaf-Wach-Rhythmen verantwortlich. Ferien und lange Tage bringen innere Abläufe durcheinander, dies kann zu einer Senkung des Serotoninspiegels und zu Depressionen führen.
Übergänge zwischen den Jahreszeiten spielen dabei ebenfalls eine Rolle, sagt Antonia Keßelring: „Sie sind schwieriger für uns geworden, weil wir dafür das Gefühl verloren haben. Doch es braucht eben seine Zeit vom Winter- in den Frühjahrsmodus – das geht nicht so, als würden wir einen Schalter anknipsen. Es ist ein Weg – vom Abschied des Alten, über eine Brücke, hin zum Neuen.“
Fakten und Hilfe
730.000 Österreicher leiden an Depressionen. Frauen sind doppelt so häufig davon betroffen wie Männer
Für Betroffene
Wenn Sie oder eine Ihnen nahestehende Person von Depressionen betroffen sind, wenden Sie sich bitte an die Telefon-Seelsorge Österreich. Täglich von 0 - 24 h gratis unter der Rufnummer 142. Oder im Chat bei telefonseelsorge.at. Weitere Hilfsangebote finden Sie auch hier: suizid-praevention.gv.at
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