Hochprozentige Forschung: Vom Versuch, den Kater zu zähmen
Ein neuartiges Gel soll Genuss ohne Schaden ermöglichen. Eine ziemlich bahnbrechende Idee, finden unbeteiligte Fachleute – mahnen aber auch zur Vorsicht.
Bei Raffaele Mezzenga laufen derzeit die Telefone heiß. Der italienische Physiker forscht an der ETH Zürich auf dem Gebiet der Lebensmitteltechnologie. Zusammen mit seinem Team hat er dort ein neuartiges Gel entwickelt, das Alkohol im Körper unschädlich machen soll. Vor rund einer Woche wurden erste, vielversprechende Ergebnisse aus Maus-Studien veröffentlicht.
Das Gel aus Molkenproteinfasern wandelt Alkohol aus Bier, Wein und Co. im Magen-Darm-Trakt in harmlose Essigsäure um. Noch bevor der Alkohol in die Blutbahn und folglich in die Leber gelangt. Bei der Verstoffwechselung in dem Organ entsteht üblicherweise Acetaldehyd, das im Organismus toxisch wirkt.
"Grundsätzlich kann so etwas brauchbar sein", schickt Roland Mader, Psychiater und Suchtexperte am Anton Proksch Institut (API), voraus. Alkohol sei ein Zellgift – "eines der giftigsten, das man dem Körper zuführen kann". Je nach Dosis kann es schwere körperliche Schäden auslösen. "Wenn man eine Sicherheitsschranke einbaut, ist das theoretisch positiv."
Nicht für alkoholkranke Menschen geeignet
Auch Wilhelm Behringer, Leiter der Klinik für Notfallmedizin am Wiener AKH, findet den Ansatz interessant: "Für eine bestimmte Zielgruppe könnte das spannend sein – für Menschen, die gerne ein Glas Wein oder Whiskey trinken, wegen des Geschmackes, nicht der berauschenden Wirkung."
Dass durch das Gel die Wirkung des Alkohols ausbleibt, stimmt Mader skeptisch: "Menschen, die problematisch konsumieren – immerhin drei Viertel der erwachsenen Männer in Österreich –, tun das nicht wegen des Genusses, sondern wegen der Wirkung. Die wollen den Alkohol spüren." Gefühle der Entspannung oder Enthemmung beispielsweise nähren die Sucht. Bei stark abhängigen Personen könnten durch das Gel massive Entzugserscheinungen auftreten, "was sogar lebensgefährlich sein kann".
Das primäre Anliegen sollte sein, den Konsum zu reduzieren, nicht Mittel zu erfinden, die die Folgen abmildern.
"Konsum reduzieren, nicht Folgen abmildern"
An einem im Konsumprozess etwas anderen Punkt setzen katermildernde Mittel an. Probiotische Kapseln oder Trinkformulierungen und Infusionen, meist Kochsalzlösungen mit verschiedenen Vitaminen, Folsäure und Elektrolyten, sollen am Tag nach der durchzechten Nacht aufpäppeln. Wissenschaftlich sei ihr Nutzen weit weg von erwiesen, betonen alle drei Experten. Laut Mezzenga seien sie ineffizient, weil es schwierig sei, "Alkohol künstlich abzubauen, wenn er erst einmal im Blutkreislauf ist".
Für Behringer laufen solche Bestrebungen in die falsche Richtung: "Das primäre Anliegen sollte sein, den Konsum zu reduzieren, nicht Mittel zu erfinden, die die Folgen abmildern, das Kopfweh oder die Übelkeit zum Beispiel." Besagte Infusionen "würden ohnehin maximal genauso gut wirken wie ein Liter Wasser und frische Luft am Tag nach dem Exzess". Da Alkohol dem Körper Wasser entzieht, gehe es vorrangig darum, den Flüssigkeitshaushalt ins Gleichgewicht zu bringen. "Einfach Wasser zu trinken ist nicht nur billiger, sondern garantiert komplikationslos", sagt Behringer. Jede eingeführte Infusionsnadel berge zumindest potenziell ein Infektionsrisiko.
Menschen, die Alkohol in problematischem Ausmaß konsumieren, wollen den Alkohol spüren.
Unnötige Extras via Infusionsnadel
Oft sind den Infusionen Vitamine, primär Vitamin B, zugesetzt. "Vitamin B gibt man chronischen Alkoholikern, weil bei ihnen oft ein Mangel besteht", sagt Behringer. Hat man bloß einmal über den Durst getrunken, sei das nicht der Fall. Extra-Elektrolyte seien an vereinzelten Katertagen ebenfalls nicht nötig. Tatsächlich hilfreich kann eine Schmerztablette sein – gegen das Kopfweh. "Hier sollte man im Hinterkopf behalten, dass Schmerzmittel die Leber zusätzlich belasten." Die beste Medizin gegen Katerstimmung sei, Alkohol in Maßen zu genießen.
Fachleute warnen immer wieder, dass katermildernde Produkte zu stärkerem Konsum verleiten könnten. Laut Mader spielt das eine untergeordnete Rolle: "Aber bei jungen Menschen ist es schon denkbar, dass das Trinken damit befördert wird." Dass neue Technologien der Zweckentfremdung Tür und Tor öffnen, weist auch Mezzenga nicht von der Hand. Er selbst habe "Hunderte eMails von teils schwer alkoholabhängigen Menschen erhalten, die etwas herbeisehnen, um die verheerenden Auswirkungen von Alkohol zu lindern, nicht den Konsum zu verdoppeln".
Bevor das Gel – es ist bereits zum Patent angemeldet – beim Menschen zur Anwendung kommt, muss es in klinischen Studien auf Wirksamkeit und Sicherheit überprüft werden. Mezzenga: "Und wir planen, so bald wie möglich dazu überzugehen."
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