Von der Haaßen bis zum Halal-Würstel: Der Würstelstand erfindet sich neu

Früher kauften die Österreicher ihre Haaße aus dem Kochtopf, dann erst kamen Grillplatte und Käsekrainer: Was die Jungunternehmer heute bieten.

Die neuen Kreativen in der Branche nennen ihre Würstelstände "Würstl Scheich", "Eh Wurst", "Eh scho Wuascht" oder "Extrawürstel" – Würstel verkaufen sie zwar, aber nicht immer aus Schweinefleisch und auch nicht ausschließlich. Auf der Speisekarte locken zusätzlich Calamari Fritti, Süßkartoffel-Pommes mit Trüffel-Mayo, Kukuruzi Fritti oder Würstel aus Pilze: Der Würstelstand, wie die Österreicher ihn seit Jahrzehnten kannten, erfährt dieser Tage eine kräftige Modernisierung.

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Josef Bitzinger, einer der bekanntesten Würstelstand-Betreiber des Landes, über die neue Konkurrenz:

Calamari Fritti gibt es bei Alles Wurscht

Calamari Fritti gibt es bei Alles Wurscht

©Nina Oezelt

"Die Wiener Küche war immer schon multikulti und Würstel sind nichts anderes als Streetfood. Tradition muss man zwar leben, aber alles, was sich nicht bewährt, verschwindet sowieso. Wenn ein Kollege Calamari Fritti anbietet, dann muss er es leben. Das Wichtigste ist, authentisch zu sein."

Am Würstelstand sind alle gleich

Dass der Imbissstand seit Jahrzehnten ein Symbol der Geselligkeit über alle Gesellschaftsschichten hinweg ist, zeigt sich daran, dass dieser ein beliebtes Ausflugsziel von Politikern – nicht nur in Wahlkampfzeiten – ist. So traf Bundespräsident Alexander Van der Bellen seinen Amtsvorgänger für ein "Arbeitsgespräch" an der Budel.

"Soziologisch betrachtet ist der Würstelstand ein hochinteressanter Ort. Hier treffen Angehörige aller Gesellschaftsschichten aufeinander – vom Hofrat bis zum Obdachlosen", schreibt Edith Kneifl, Psychoanalytikerin und Herausgeberin des Kurzgeschichten-Bandes "Tatort Würstelstand".

Von Ex-Bundeskanzler Bruno Kreisky weiß man dank Eintrag ins Gästebuch (ja, auch das haben manche Würstelstände) wiederum, dass ihm die Burenwurst viel besser geschmeckt habe als zuvor das Festessen beim Staatsbankett.

Monarchie: Einkommen für Kriegsinvaliden

Die Geschichte des Würstelstands war immer schon an gesellschaftliche Entwicklungen geknüpft und reicht bis in die k. u. k. Monarchie zurück. Erfunden wurden die einst mobilen Verkaufsstationen, um Kriegsinvaliden die Möglichkeit eines Einkommens zu sichern – die ersten Würstelstände wurden von ehemaligen Soldaten betrieben.

Leopold Mlynek mit seinem mobilen Würstelstand, heute steht der „Leo“ in Wien-Alsergrund

Leopold Mlynek mit seinem mobilen Würstelstand, heute steht der „Leo“ in Wien-Alsergrund 

©Würstelstand Leo / Vera Tondl/Würstelstand Leo/Vera Tondl

Bekanntlich handelt es sich beim Würstelstand Leo in Wien-Alsergrund um den ältesten Würstelstand in Wien, dieser wurde 1928 von Leopold Mlynek Senior gegründet. Bis dahin hatte dieser zehn Jahre lang eine Nacht-Konzession für seinen fahrbaren Stand auf der Straße vis-a-vis.

Die Geschichte der Wurst – zumindest der Blutwurst – ist, wie wir aus der Odyssee von Homer wissen, deutlich älter. So spricht Antinoos, Sohn des Eupeithes: "Höret, was ich euch sage, ihr edelmütigen Freier! Hier sind Ziegenmagen, mit Fett und Blute gefüllet, die wir zum Abendschmaus auf glühende Kohlen geleget."

©Kurier/Gilbert Novy

Genau diese archaische Art, wie wir heute noch Grillwürstel essen, liege in unseren Genen, glaubt Bitzinger. Wobei die Grillplatte in den Würstelständen eine Erfindung der 60er und 70er ist, denn zuvor wurden Würstel ausschließlich in Wasser gesiedet.

Bei fleischfreien Alternativen wie einer Veggie-Bosna steigt Bitzinger aus: "Die Käsekrainer braucht Zeit und wird erst richtig gut, wenn sie lange genug auf der Grillplatte gelegen ist. Die Veggie-Wurst wäre bis dahin trocken."

Identifikation: niemanden ausschließen

Der 24-jährige Karim Abdalla sieht das etwas anders – der Sohn eines Libyers und einer Österreicherin betreibt in Graz einen Würstelstand namens Würstl Scheich sowie ein Imbiss-Lokal: Alle Würstel sind aus Rindfleisch oder vegan. Wie es dazu kam? "Ich bin hier geboren und aufgewachsen. Sowohl die arabische als auch die österreichische Kultur ist in mir. Nach den Fußballturnieren haben immer alle nach dem Spiel Käsekrainer und Frankfurter gegessen. Als muslimisches Kind konnte ich nicht an dieser Kultur teilhaben, obwohl ich mich sehr dafür interessiert habe."

Dass die Käsekrainer, die Frankfurter und die Bosna ohne Schweinefleisch und damit halal sind, betont der Jungunternehmer nicht extra: "Die, die nicht darauf achten, sollen es gar nicht merken."

Weil ihm eine Teilnahme am Kulturgut Würstelstand selbst lange verwehrt blieb, bietet Abdalla die Klassiker auch in veganer Variante an: "Damit niemand ausgeschlossen wird, werden die veganen Würstel auf einer eigenen Grillplatte gemacht."

Und das rechnet sich: Jeder fünfte Kunde wählt die fleischfreie Alternative.

Anita Kattinger

Über Anita Kattinger

Leidenschaftliche Esserin. Mittelmäßige Köchin. Biertrinkerin und Flexitarierin. Braucht Schokolade, gute Bücher und die Stadt zum Überleben. Versucht die Welt zu verbessern, zuerst als Innenpolitik-Redakteurin, jetzt im Genuss-Ressort.

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