Marktgeschichten: Vom Wunschkraut zum Sauerkraut

Sauerkraut ist eine heiß geliebte Silvestertradition, die man auch einfach selber machen kann.

Marktgeschichten, Folge 44:

Nicole Ott schreibt an dieser Stelle einmal im Monat von inspirierenden Gesprächen rund um saisonale Produkte und kreiert exklusiv für die freizeit ein Rezept damit. 

Der Silvestertag ist der richtige Zeitpunkt, sich das neue Jahr herbeizuwünschen. Kein Wunsch ist zu groß – oder zu klein, und sei es nur, dass endlich das selbst gemachte Kraut im Glas mit Bläschen anzeigt, dass die Transformation zum Sauerkraut stattfinden wird.

Ich sitze an diesem Silvestertag zuhause am Küchentisch, trinke meinen Morgenkaffee und sinniere ein bisschen über das neue Jahr, das bald an unsere Türen klopfen wird. Noch liegt es da wie ein weißes, unschuldiges Blatt und wir wissen nicht, was es für uns bereithalten wird. Tags zuvor habe ich die Wünsche sortiert, die unsere Besucherinnen an unseren „Wunschbaum“ vor dem Café geheftet haben. Sie reichen von „Weltfrieden“ über „Ich will keine Schokolade, ich will lieber einen Mann“ bis zu „Gesundheit für die Mama“ und „Ich wünsche mir nichts mehr als ein Baby“. Ich werde sie nacheinander dem Feuer übergeben, auf dass sie sich transformieren. Dabei stellt sich die Frage, ob wohl alle unsere Wünsche in Erfüllung gehen? 

Der Liebste reißt mich aus meinen Tagträumen. „Hast du gestern Sauerkraut von Erol geholt? Das gehört zum Neujahrstag unbedingt dazu!“ „Bei dir ist wohl immer Neujahr“, erwidere ich lachend, der Liebste ist seit Jahrzehnten sauerkrautsüchtig.

Für Seefahrer und Hipster

Früher wurde samstags der Jüngste geschnappt und die zwei machten sich auf den Weg, um beim Sauerkrautstandler das milde Kraut aus dem Holzbottich zu fischen. Zuhause wurde dann für die Kinder ein „Sauerkrautburger“ zubereitet: Apfelscheiben mit Sauerkraut gefüllt – Vitamin C in geballter Form, vor allem in der kalten Jahreszeit sehr zum Nachahmen empfohlen. „Gut, dass wir jetzt an der Quelle sitzen und Erols Bottich nur einen Katzensprung entfernt ist“, schmunzele ich. „Wo es doch so gesund ist“, sagt  der Liebste. „Denk an die Seefahrer im 18. Jahrhundert, die nur durch das Sauerkraut von Skorbut verschont geblieben sind. Die alten Griechen und auch die Chinesen haben schon gewusst, was heutzutage bärtige Hipster mit cool tätowierten Armen unseren Kindern per Internet beibringen: Gemüse durch Milchsäuregärung zu konservieren!“

Und so kam es im zweiten (oder war’s der dritte?) Lockdown, wie es mit dem Liebsten irgendwann einmal kommen musste – wir besorgten Kraut und  Salz und fingen an, unser eigenes Sauerkraut zu kneten. Dieser erstaunlich muskelintensive Prozess wurde mit Saft belohnt, der für die richtige Gärung unabkömmlich ist. 

Ein paar Wacholderbeeren und auf meinen Wunsch Zitronenschale kamen dazu, das Ganze wurde mit einem wassergefüllten Sackerl abgedeckt, damit  ja nichts aus der Flüssigkeit herausschauen kann, fertig. Nach ein paar Tagen kam dann der Zeitpunkt, den wir herbeigesehnt hatten: die ersten Bläschen stiegen auf! Nach zwei Wochen Gärung dann die  feierliche Verkostung, wie stolz waren wir auf unser Kraut.

Heute geistert in meinem Kopf die Idee vom „Sonnenkraut“ herum – Sauerkraut, das mit Kurkuma goldgelb fermentiert wird. Davon inspiriert, wird es bei uns am Neujahrstag mildes Apfelsauerkraut geben, Currypulver bringt die leuchtende Farbe und den exotischen Pfiff, dazu sattgrüne Spinatknöderl – Türen auf für 2023.

Tipp

Sauerkraut bei der Lagerung im Behälter fest zusammendrücken, sodass der Saft nach oben steigt und das Kraut bedeckt ist.

Nicole Ott ist Köchin, Gastronomin und Kochbuchautorin. Am Wiener Kutschkermarkt führt sie das Café Himmelblau

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