Winzerin in Südengland: Ihr Schaumwein macht Champagner Konkurrenz

Cherie Spriggs erfand in Südengland den Edelsekt neu. Ein Besuch bei dem Pionier-Weingut Nyetimber in West Sussex.

Cherie Spriggs tritt zwischen die knorrigen Weinstöcke. Die Morgenluft ist nass und riecht nach Herbst. Bis auf das stete Schnipp! und entferntes Traktorrattern ist es still in den Hügeln der South Downs, zwei Autostunden südlich von London. Die Winzerin atmet tief ein, es ist ihr liebster Moment, dann marschiert sie weiter.

Mit der Erntezeit hat der geschäftigste Jahresabschnitt begonnen. In dem Gut, das Heinrich VIII. einst seiner Frau Anna von Cleves als Annullierungsgeschenk vermachte, produziert Cherie Spriggs heute exquisiten Sekt für das Haus Nyetimber. Ein Umstand, der einst für Kopfschütteln sorgte. Als Spriggs 2007 von Kanada nach England kam, um ihren Beruf als neue Hauptwinzerin des Sektproduzenten anzutreten, hätten sogar englische Weinkenner gefragt: Was machst du hier? „Als mir mein Vater nach einem Urlaub in England eine Flasche Nyetimber mitgebracht hatte, habe ich sofort das Potenzial dieses Schaumweines geschmeckt.“

©ChERIE VINES

Ein ungeschliffener Diamant, den Spriggs verfeinern wollte. Auf gut Glück hatten sie und ihr Mann daraufhin ein eMail an den Besitzer des Weinguts geschickt und ihre Dienste angeboten; drei Wochen später saßen sie im Flugzeug. Cherie Spriggs lächelt bei dieser Erinnerung. Und ihr Gefühl sollte sich bewahrheiten. Die Flaschen mit dem geschwungenen Etikett wie ein Ritterwappen stehen heute selbstverständlich im Sektregal teurerer, englischer Einkaufsketten. (Seit 2016 auch in Österreich.)

Mit Briochenoten

Und bei noblen Veranstaltungen wie dem Picknick im Londoner Mayfair ist der mintgrüne Eventbus des Weinguts mittlerweile ein Highlight. Geduldig stehen die Briten Schlange für ein Glas Classic Cuvée; feinperlig, goldfarben und im Geschmack eine Schärfe gepaart mit Briochenoten – um 12 Pfund. Die Messlatte ist klar: Die großen Häuser Frankreichs. Deshalb werden die Produkte auch bloß mit den drei Champagner-Sorten produziert: Chardonnay („der Klare, mit seiner erfrischenden, schmackhaften Säure“); Pinot Meunier („der mit seiner üppigen Fruchtigkeit für den nötigen Ausgleich sorgt“) und Pinot Noir („der Geheimnisvolle, der jedes Jahr ein wenig anders schmecken kann und genau deshalb so wundervoll ist“).

Mit dieser speziellen Auswahl war Nyetimber im Gründungsjahr 1988 in England Vorreiter. Mit 350 Hektar ist das Weingut heute zudem größter Sektproduzent im Land. Doch mit seinem Fokus ist es nicht mehr allein: Rund 68 Prozent des in England und Wales erzeugten Weins entfällt auf Sekt; allein in England wird er von rund 100 Weingütern produziert.

Dass die Leute, wenn sie hören, dass ich Winzerin in England bin, nicht mehr starren, als hätte ich zwei Köpfe“      

Winzer Cherie Spriggs über ihren große Wunsch

Wer hat’s erfunden?

Ein bisschen ist England beim Sekt ohnehin auch Pionier. Vor fünf Jahren wurde in der Kleinstadt Winchcombe eine Plakette angebracht: Arzt Christopher Merret habe 1662 hier dokumentiert, wie man den Sprudel in den Wein bekommt. Das war, wird gerne betont, 30 Jahre vor den Mönchen Frankreichs. Wer habe also den Champagner tatsächlich erfunden?

Durch Kalkboden wie in der Champagne – manche argumentieren, es ist die gleiche Gesteinsschicht, die sich unter den Ärmelkanal durchzieht – und milderes Wetter – auch wenn vermieden wird, den Klimawandel zu erwähnen – kann der Süden Englands derzeit ideale Bedingungen für den Sektanbau bieten. So gut sind die Voraussetzungen, dass die Franzosen mitmischen möchten.

Pommery ist 2014 in der Grafschaft Hampshire die erste Kooperation eingegangen; Taittinger hat 2017 in Kent Reben angepflanzt: 2024 sollen die ersten Flaschen der Domaine Evremond, benannt nach jenem Franzosen, der im späten 17. Jahrhundert Sekt am Hof von Charles II bekannt machte, zum Verkauf stehen. Nein, natürlich habe man keine Sorge, dass England Frankreich den Rang ablaufen könne, heißt es von Taittinger; „Wir wollen auf den Bedarf des englischen Publikums eingehen. England ist seit Jahren Exportland Nummer eins.“

Steigenden Sektbedarf bestätigt auch Nyetimber. Mittlerweile werden pro Jahr eine Million Flaschen abgefüllt. Dafür knipsen mehr als 300 Erntehelfer händisch die Trauben in 15-Kilo-Schütten. „Standard sind 40 Kilo, aber dabei werden die untersten oft gequetscht. Das wollen wir vermeiden“, sagt Markenbotschafter Charles Lowe bei der Weingut-Tour und öffnet die Tür zum schicken Presshaus. Penibel wurden hier die Nirosta-Tanks noch einmal geputzt. Leicht schräg stehen die Presskolben, sodass die Charge möglichst gut durchgemischt wird. Und von den Pressungen wird stets nur der erste, feinste Teil genommen. Es sind die Details, die den Unterschied machen. Und die dazu geführt haben, dass Cherie Spriggs 2018 „Sparkling Winemaker of the Year“ wurde.

Sie war nicht nur die erste Frau, die den Preis der International Wine Challenge erhielt, sondern auch die erste Winzerin außerhalb der Champagne. Nun wird an weltweiter Bekanntheit gearbeitet. Ihr Wunsch: „Dass die Leute, wenn sie hören, dass ich Winzerin in England bin, nicht mehr starren, als hätte ich zwei Köpfe.“ Und: „Dass man beim Feiern nicht mehr nur an Schaumwein aus der Champagne denkt.“

Anna-Maria Bauer

Über Anna-Maria Bauer

Wienerin und Weltenbummlerin. Leseratte und leidenschaftliche Kinogeherin. Nach Zwischenstopps in London und als Lehrerin in der Wien-Chronik angekommen. Interessiert an Menschen, die bewegen, begeistern oder entsetzen; an ungewöhnlichen Ideen und interessanten Unmöglichkeiten. "Nichts ist verblüffender als die einfache Wahrheit, nichts ist exotischer als unsere Umwelt, nichts ist phantasievoller als die Sachlichkeit." Egon Erwin Kisch: Der rasende Reporter.

Kommentare