Fantasy-Kultautor Hohlbein: "Den strahlenden Helden finde ich albern"
Er ist der Superstar, den keiner kennt: Wolfgang Hohlbein hat Millionen Bücher verkauft. Im Interview spricht er über "Der Greif", private Abenteuer, seine sechs Kinder und sein Zuhause bei Rittern, Trollen und Feen.
Grauer, gekämmter Vollbart, weit über die Schulter wallende Haare, Brille: Wolfgang Hohlbein sieht aus wie ein Mix aus Hippie und Geografielehrer – und ist wohl der erfolgreichste deutsche Autor. Mehr als 200 Bücher hat er geschrieben, wie „Märchenmond“, sein Erfolgsdebüt, insgesamt um die 43 Millionen verkauft. Sein Fach: Fantasy.
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Nun hat Amazon Prime seinen Roman „Der Greif“ aus dem Jahr 1989 als große Serie verfilmt. Die in die Neunziger verlegte Handlung: Drei junge Außenseiter entdecken die fantastische Welt um den Schwarzen Turm und damit den Greif, ein weltenverschlingendes Monster. Der Einzige, der ihn bezwingen kann ist Mark – doch der will gar kein Held sein, hat er doch genug mit Schule und der ersten großen Liebe zu tun. Gelassen, milde und offen erzählt Autor Hohlbein im Zoom-Interview über die Serie und sein Leben.
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Es ist genau der richtige Moment. Vor zehn Jahren hätte ich vermutlich sogar nein gesagt.
Die Technik war noch nicht so weit. Auch nicht die Akzeptanz, dass das mehr sein kann als ein Kinderfilm. Das ist erst seit den vergangenen zehn Jahren der Fall. Auch dank „Herr der Ringe“.
Im kreativen Findungsprozess habe ich viel mit Regisseur und Drehbuchautor geredet. Aber mit dem Drehbuch wollte ich nichts zu tun haben. Das ist etwas völlig anderes als Romane schreiben. Das kann ich nicht. Wollte ich auch gar nicht.
Sogar ganz genau. Mein damaliger Verlag war in Wien, drei-, viermal im Jahr sind wir hergefahren. Die Verlegerin nahm meine Frau und mich mit aufs Dach. Dort thronten diese teils lebensgroßen Figuren und Statuen. Walküren, Ritter, Streitwagen. Auch ein Greif war dabei. Wir betraten eine völlig neue Welt, hoch über den Dächern der ganz normalen Stadt. So beginnt dann auch der Roman, eine dieser Figuren wird lebendig.
Das ist bei den meisten meiner Figuren so. Den strahlenden Helden im blauen Strampelanzug und roten Umhang finde ich eher albern. Ein normaler Mensch, der ohne oder sogar gegen seinen Willen in Geschehnisse reinstolpert, die ihn überfordern: Damit kann ich mich sehr gut identifizieren. Das ist für mich ein Held. Nicht ein unbesiegbarer Muskelmann wie Siegfried, der Drachentöter.
Für meinen Zahnarzt war ich ein Held, nachdem er mir vier Zähne auf einmal gezogen hat. Aber ein richtiger Held? Nein. Gott sei Dank musste ich das noch nicht sein.
Die klassischen Abenteuer, von denen man so als junger Mann träumt, habe ich mir soweit ich konnte erfüllt. Etwa mit der Harley-Davidson auf einer Tour quer durch Amerika zu fahren. Mit 20 konnte ich es mir nicht leisten, mit 45 schon. Von Chicago aus ging es zur Ostküste, danach quer durchs Land und an der Westküste bis San Francisco.
Mit den Abenteuern ist es so: Sie sollten solcherart gestrickt sein, dass man gute Chancen hat, sie zu überleben. Ich kenne meine Grenzen. Über die gehe ich nicht aus falsch verstandener Männlichkeit hinaus.
Kennen Sie das, wo man angeschnallt senkrecht eine Hauswand runterläuft? Da hab ich gesagt: Nö, so mutig bin ich doch nicht. Die spöttischen Blicke der anderen waren mir dann auch egal.
Im zarten Alter von drei habe ich meinen ersten Karl-May-Roman geschenkt bekommen. Sinnigerweise „Winnetou 3“. Den habe ich verschlungen. Nachdem ich aufgehört habe zu weinen, weil Winnetou gestorben war, habe ich mir die anderen Bücher auch besorgt. Zwei Jahre habe ich nichts anderes getan, als Karl May zu lesen. Und dann alles, was einen an Phantastik-Literatur begeistern kann, von Perry Rhodan über Jules Verne bis H. P. Lovecraft.
Bei schönem Wetter habe ich auch draußen im Garten gelesen. Aber ich war schon eine Leseratte, ja. Was Sport betrifft, halte ich es mit Winston Churchill, Sport ist Mord.
Eher Old Shatterhand. Eben habe ich wieder in die Karl-May-Romane reingelesen, aus Nostalgie. Es ist alles schon ein bisschen betulich und altmodisch. Aber als Kind hat es mich in seinen Bann geschlagen.
Alle Kinder sind fantasiebegabt. Ich hatte das Glück, dass meine Eltern das noch etwas förderten. Auch ich habe meine Kinder angehalten, ab und zu ein Buch zu lesen. Heute ist das mit den Handys und Playstations aber noch schwieriger.
Unterschiedlich.
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Es gibt eine Phase, da finden sie’s toll, weil’s von mir ist. Ein bisschen später kommt dann die Phase, da finden sie’s blöd, weil’s von mir ist. Das Schicksal der Eltern.
Ein gutes Beispiel ist unser jüngster Sohn. Der hatte sich, abgesehen von der Schule, bis zur theoretischen Androhung der Prügelstrafe geweigert zu lesen. Dann ist etwas Seltsames passiert. Ich schreibe meine Manuskripte mit der Hand, danach diktiere ich Sie überarbeitet in ein Diktiergerät. Ich habe ihn dabei erwischt, wie er die Kassetten stibitzt und sich die Geschichten heimlich angehört hat. Es hat sich herausgestellt, dass er Hörbücher toll findet. Das ist nur ein anderes Vehikel. Geschichten findet er faszinierend.
Jedes meiner Kinder hat einmal versucht, Geschichten zu schreiben. Das bleibt nicht aus in meinem Umfeld. Ich habe ihre Sachen dann dem Verlag nicht empfohlen, aber gesagt, sie sollen sich das mal anschauen. Es gefiel.
Anfangs schrieb sie Geschichten, die meinen ähnelten. Mittlerweile macht sie auch andere Sachen, sie ist ein Multitalent. Sie kann so vieles, aber nix wirklich, sage ich manchmal ein bisschen boshaft. (lacht) Natürlich kann sie’s, ihr Schwerpunkt liegt nur nicht so sehr beim Schreiben wie bei mir. Sie schreibt, malt, töpfert, bildhauert, restauriert alte Möbel. Sie ist kreativ.
Mainstream, das ist nicht meine Literatur. Wenn ich was von Ehekrisen oder Drogenproblemen von Kindern wissen will, frage ich meine Nachbarn.
Nein. In der Schule wollten alle Polizist, Lokomotivführer oder Astronaut werden. Ich wollte immer Geschichten erzählen. Und kreativ sein, nicht abends um fünf den Schreibtisch zuschließen und das war's. Vielleicht wäre ich auch ein glücklicher Maurer geworden, wenn meine Eltern mich nicht mit sanftem Druck dazu gebracht hätten, Kaufmann zu lernen. Aber ich habe diesen Beruf nie wirklich geliebt. Es war nur ein Brotberuf, um die Miete zu bezahlen.
Das Wort Flucht klingt so negativ. Von manchen Kritikern wird es verächtlich auch Eskapismus genannt. Aber was ist schlimm dran? Flucht ist, wenn ich vor etwas weglaufe und woanders sein möchte, wo es mir besser geht. Ich möchte um Gottes willen nicht in meinen Geschichten leben. Aber so schlimm sind diese Welten nicht, die ich mir ausdenke. Sie sind voller Abenteuer. Darum geht es, um die Reise, der Weg als Ziel.
Was mich an der Phantastik fasziniert, ist die Unendlichkeit der Möglichkeiten. Mainstream, das ist nicht meine Literatur. Wenn ich was von Ehekrisen oder Drogenproblemen von Kindern wissen will, frage ich meine Nachbarn. Aber wenn ich Abenteuer erleben möchte, dann soll es ein fantastischer Stoff sein. Das kann auch ein Thriller von Stephen King sein. Die Handlung muss nicht immer in Fantasy-Welten mit kleinen, gehörnten Wesen spielen. Für mich ist eine Geschichte interessant, wenn sie einen Schritt neben der Wirklichkeit steht. Wenn nicht alles so sein muss, wie es den Anschein hat.
Gott sei Dank! Wie es ist, ist es genau richtig. Ein- bis zweimal im Monat werde ich angesprochen. Das schmeichelt einem. Wenn keiner käme, wäre ich auch verschnupft. Aber ich kann mit Freunden im Biergarten oder mit meiner Familie in der Eisdiele sitzen, ohne ständig belästigt zu werden. Ich bin froh, nicht nur mit falschen Haaren und Sonnenbrille rausgehen zu können.
Ritterrüstungen, Keulen oder andere Mordinstrumente inspirieren und interessieren mich. Vor langer Zeit habe ich am Flohmarkt ein altes Schwert gekauft und an die Wand gehängt. Seitdem bekam ich Schwerter, Schilder, Speere, Helme geschenkt. Irgendwann habe ich gesagt, Leute, es ist genug.
Die Ritterrüstung hat meine Frau mir zum 40. Geburtstag geschenkt. Die ist für mich maßgebaut, die kann ich sogar anziehen. Mittlerweile ist sie aber eingerostet. Die wird nicht mehr funktionieren.
Wenn ich es mir in 20 Jahren gesundheitlich und finanziell leisten kann, werde ich wohl in den Weltraum fliegen. Nicht nur für drei Minuten wie Milliardär Richard Branson, das ist mir der Aufwand nicht wert. Da kommt wieder meine Stimme der Vernunft zu Wort, die sagt: Weltraumtouristen? Wart’ mal zehn Jahre, lass’ die ersten zehn abstürzen – und dann mache ich es auch. (lacht)
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