Chiara Ferragni: So mächtig ist die begehrteste Mode-Influencerin der Welt

Chiara Ferragni begann als Bloggerin. Heute besitzt sie ein Imperium. Und hat Millionen-Deals, politischen Einfluss und eine Realityshow, die erneut für Drama sorgt.

Am Anfang war ein Lächeln. Und zwar kein wohlwollendes, ermutigendes, anerkennendes. Oder grundsätzlich freundliches. Sondern ein be-lächeln. Die junge Göre, so unkte und mutmaßte man verächtlich, sei doch vor allen Dingen auf eines aus: gratis bei den begehrtesten Fashionshows der Welt dabei zu sein, am Champagner zu nippen, vom Kaviar zu naschen, und überhaupt sich Zutritt zu einer Promi-Welt verschaffen, die sie sonst nur aus der Vogue kennt.

Das war 2009. Ein junges Mädchen namens Chiara Ferragni, blond, 22 Jahre alt und von dieser unerschrockenen Blauäugigkeit, die die Welt aus den Angeln heben kann, machte damals ihre ersten Gehversuche in der Modewelt. Sie hatte die Website „The Blonde Salad“ kreiert.

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Immerhin machte sie gern Bilder von sich, begeisterte sich für Mode; ihr Freund knipste Fotos von ihr in wechselnden Looks, die sie auf die Plattform flickr hochlud.

Und weil die Wirkmacht eines Selfies damals noch nicht reichte, um Geld zu verdienen und Trends zu kreieren, schrieb sie in ihrem Blog brav über neue Mode und coole Looks. Soziale Netzwerke wie Instagram existierten zu dieser Zeit noch nicht. Der Beruf Influencer war noch nicht erfunden. Chiara Ferragni hat ihn mitgeprägt und zugleich längst überwunden, nein, übertroffen.

Outfit-Queen: sympathisch, stylisch und sexy, das Erfolgsrezept von Chiara Ferragni

©Cornel Cristian Petrus/Shutterstock

Heute hat sie 29 Millionen Follower, ist Digital-Unternehmerin, managt ein Millionen-Imperium. Die Strategien ihrer Karriere werden an der Elite-Uni in Harvard studiert. Sie hat ihr eigenes, nach ihr geformtes, Barbie-Modell bekommen. Und sie landete, als erste Bloggerin überhaupt, selbst am Cover der Vogue. Dass sie bei den Shows der Fashionweeks in Mailand, Paris und New York längst nicht mehr um Akkreditierung betteln muss, sondern einen Fixplatz in der ersten Reihe hat: Ehrensache.

Ihr Geheimnis: Authentizität

Früh erkannte sie die Zeichen der Zeit, machte aus Klicks Kohle. In einer Phase, in der sich die Online-Welt revolutionär entwickelte und die kommerziellen Beziehungen zwischen Influencern und Marken erst in den Kinderschuhen steckten, gestaltete sie diese mit und reitet seitdem auf der Erfolgswelle. Was macht Chiara Ferragni so erfolgreich?

Nadja Enke forscht an der Universität Leipzig zu den Themen Influencer und Strategische Kommunikation und beschäftigt sich mit den Phänomenen, die sie zeitigen. „Ferragni verbindet Content-Kompetenzen mit Interaktions-Kompetenzen“, erklärt die Wissenschaftlerin. Und das mache sie besonders gut.

„Sie ist in der Lage, mit ihren Inhalten Reichweiten zu generieren und zugleich soziale Beziehungen zu ihren Fans und Followern aufzubauen.“ Durch die Art und Weise wie die Italienerin online kommuniziert und wirkt würde sie als besonders authentisch wahrgenommen werden; ihre Glaubwürdigkeit in Bezug auf die Themen, die sie anspricht, seien dadurch enorm hoch. Ihre Zielgruppe vertraut ihr – eine unbezahlbare Währung.

Die übrigens zu einem faszinierenden Effekt führt: Die Menschen, die Ferragnis Inhalte konsumieren, würden zwar begreifen, dass es sich dabei großteils um Werbung handelt. Doch weil beim Content von Influencern andere Verarbeitungsmechanismen als sonst üblich greifen, wären sie bereit, diesen Umstand zu akzeptieren.

Auch Ferragni beherrscht das Spiel, einerseits Unternehmen zu promoten und gleichzeitig private Einblicke in ihr Leben zu gewähren, perfekt. Durch diesen ständigen Rollenwechsel vereint sie Funktionen, die früher streng voneinander getrennt waren. Unnachgiebig brennt sich ein Folgeschluss ins Hirn: Die hier verbreiteten Botschaften müssten außergewöhnlich wichtig und wahr sein. Und wer würde sich einen Vermarktungspartner mit diesem Impact nicht wünschen?

Wenn Ferragni sich heute in einem bestimmten Look zeigt, wird das in den Zeitschriften umgehend als Trend ausgeschrieben. Ob Kleid, Tasche oder Frisur – was sie angreift ist unangreifbar angesagt und Kult.

Privatdramen als Reality-Serie

Längst schwappt das überbordende Interesse an der schicken Blondine über die Grenzen des Modezirkus hinaus. Wie sie tickt, wen sie liebt, wie sie lebt, all das beschäftigt den Boulevard. Und lässt sich streamen: Ab 18.5. läuft bei Amazon Prime bereits die zweite Staffel ihrer Reality-Serie „The Ferragnez“ an. Darin gibt Ferragni Einblick in ihr Berufs- und Privatleben mit ihrem bis ans Kinn tätowierten Gatten und den zwei kleinen Kindern Vittoria und Leone.

Mit dem Rapper Fedez bildet sie, quasi ein Non-plusultra des Entertainment-Kommerzes, ein einflussreiches Power-Paar. Auf 44 Millionen kommt man, wenn man die Instagram-Fans der beiden zusammenzählt.

„Es wird eine Achterbahn der Emotionen“, kündigte Ferragni zum Serienstart an. Und bezieht sich damit wohl auch auf die jüngsten Schlagzeilen: Während sie das Musikfestival Sanremo moderierte, kamen sich hinter den Kulissen ihr Mann und der Rapper Rosa Chemical gar unschicklich nahe, sogar geknutscht wurde. Ein Schock für die Influencerin, es flogen die Fetzen.

Power-Paar: Ferragni und ihr Mann, der Rapper Fedez 

©Carl Timpone/BFA.com/Shutterstock

Überlagert wird diese Episode jedoch von einem anderen Drama: Der Musiker litt an Bauchspeicheldrüsenkrebs, danach an Depressionen: „Ich musste mich damit auseinandersetzen, möglicherweise zu sterben.“ Im Trailer ist Ferragni zu sehen, wie sie Fedez am Spitalsbett besucht; ein anderes Mal laufen ihr beim intimen Kuscheln die Tränen über die Wange. „Das vergangene Jahr war eine echte Herausforderung für uns“, gesteht Ferragni. Streit, Versöhnung, Intimität, Drama. All das steht im seriellen Emotionscocktail auf dem Programm. Die Kamera: immer dabei.

Kluge Geschäftsfrau

Ihre verletzliche Seite ist das eine. Auch Stil-Ikonen haben Gefühle. Das Geschäft ist das andere. Hinter Chiara Ferragni läuft eine perfekt geölte Maschinerie permanent auf Hochtouren. Und die ist nicht nur mit der Herstellung digitaler Inhalte beschäftigt.

„Ferragni hat ihre Reichweite klug in neues Kapital umgesetzt“, weiß Wissenschaftlerin Enke. „Sie schafft nicht nur ein Werbeumfeld, sondern hat auch Eigenmarken aus der Taufe gehoben.“ Mit ihrer Chiara Ferragni Collection vertreibt sie eine eigene Schuh-, Kleidungs- und Make-up-Linie. Auch Unterwäsche, Bademode und Kinderkleider gibt es unter diesem Namen zu kaufen.

The Ferragnez: Ferragni und Fendez mit den Kindern Vittoria und Leone

©Instagram/@fedez

Ihre Firma Fenice, die ihre Fashionline herstellt, hat sie 2022 umstrukturiert und verkündet, sie suche einen Investmentfonds, der als Finanzpartner ihre Expansionspläne unterstütze. Das ist es, worum es der ehemaligen Jus-Studentin jetzt geht: Aktionärsstrukturen, Kapitalerhöhungen – und möglichst viele Lizenzen zu vergeben, um ihre Marke auf der ganzen Welt zu verkaufen.

Längst baut ein Stein auf dem anderen auf oder wie Enke es nennt: „Ab einem gewissen Zeitpunkt beginnen Netzwerkeffekte zu greifen.“ So hat das Modehaus Tod’s Ferragni in den Aufsichtsrat berufen. Das Ziel: Dem Konzern helfen, die Generation Z verstehen zu lernen, sprich die Zielgruppe zu verjüngen. Was gleich einmal einen Kursanstieg an der Börse bewirkte.

Was aber neu ist: Ferragnis gesellschaftspolitischer Einfluss. Immer wieder mischten sich in ihre Mode-Postings andere Themen. Sie macht sich gegen Homotransphobie und Rechtspolitiker stark. Für ein Krankenhaus für Covid-Patienten sammelte sie 4,4 Millionen Euro. Geschadet hat ihr das Verlassen gewohnten Terrains nicht. Auch in Sanremo erntete sie Beifall: In ihre vier Dior-Roben waren Statements gegen Hass, Gewalt und Sexismus eingestickt. Ein viel beachtetes Zeichen. Belächelt wird Chiara Ferragni längst nicht mehr.

Alexander Kern

Über Alexander Kern

Redakteur KURIER Freizeit. Geboren in Wien, war Chefredakteur verschiedener Magazine, Gründer einer PR- und Medienagentur und stand im Gründungsteam des Seitenblicke Magazins des Red Bull Media House. 12 Jahre Chefreporter bzw. Ressortleiter Entertainment. Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Stil und mehr. Interviews vom Oscar-Preisträger bis zum Supermodel, von Quentin Tarantino über Woody Allen bis Jennifer Lopez und Leonardo DiCaprio. Reportagen vom Filmfestival Cannes bis zur Fashionweek Berlin. Mag Nouvelle Vague-Filme und Haselnusseis.

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