Wie aktuell ist Steven Spielbergs "West Side Story?"

Alter Hut oder aktueller denn je: Steven Spielbergs Version der "West Side Story" kommt in die Kinos. Und präsentiert mit Rachel Zegler einen Star der Zukunft.

Wow, einer der berühmtesten Regisseure der Welt verfilmt das wahrscheinlich berühmteste Musical der Welt. Das ist die eine Reaktion. Die andere: "West Side Story", echt jetzt? Wen interessiert das noch?! Auch so könnte man intuitiv meckern, bevor demnächst das beinahe 65 Jahre alte Musical von Leonard Bernstein in einer Neuverfilmung in die Kinos kommt. Überhaupt, Musical, ist das nicht so was von was für Boomer oder vielleicht gerade noch Millennials?

Dazu gleich vorweg: Nein, Musicals boomen, wir erinnern uns an Adam Driver im superschrägen The Sparks-Musical-Film "Annette" oder den Riesenerfolg von Alanis Morrisettes "Jagged Little Pill"-Musical. Und wenn Hipstress Florence Welch gerade ebenfalls an einem Musical schreibt, muss IRGENDWAS dran sein.

Aber warum dann so ein alter Stoff? Warum nicht irgendwas Aktuelles, Jugendkultur, soziale Missstände, Fremdenfeindlichkeit, Integration, Frauenselbstbestimmung - so Zeug eben, das uns alle angeht? ... Genau. Als die "West Side Story" 1957 am Broadway Premiere feierte, war es auch aus eben diesen Gründen eine Sensation. Das erste Musical, in dem es um aktuelle Zustände und Probleme ging, eine tatsächliche Jugendkultur, Gangs und Konflikte, die praktisch täglich Schlagzeilen machten. Nix mit heile Welt und Schöngesang, wie sonst am Broadway üblich  - "isch mach dich AKH", war da schon eher das Motto. Das fährt heute genau so rein wie damals, wie man auch an den euphorischen Vorabkritiken erkennt.

Umso grandioser, dass Bernstein und sein Team sich Shakespeares "Romeo & Julia" als Vorlage holten - und einen Klassiker in die Straßen New Yorks der 1950er-Jahre transportierten.

Steven Spielberg verzichtete ganz bewusst darauf, die Story ins 21. Jahrhundert zu versetzen. Er bleibt der Atmosphäre der Vorlage treu - gerade weil sie auch ganz ohne Modernisierungsschnickschnack heute genau so gut funktioniert wie damals. Oder zu jeder Zeit ...

Wirklich neu ist hingegen Hauptdarstellerin Rachel Zegler, die die Rolle der "Maria" übernimmt. Gerade einmal 20 und eine absolute Sensation. Unter 30.000 Teilnehmerinnen, die per Twitter von Spielberg persönlich dazu aufgerufen wurden, Videos von sich einzuschicken, wurde sie ausgewählt. Damals war sie 16. Wenn sie heute allerdings gerne als "Influencerin, die für den Film entdeckt wurde" hingestellt wird, tut man ihr unrecht.

Sie ging auf eine Highschool mit Kunst-Schwerpunkt und erhielt bereits vier Metro-Award-Nominations für Musical-Produktionen, bei denen sie in dieser Zeit mitwirkte. Ihre 300.000 Insta-Follower hat sie nicht nur für Selfies mit Veggie-Burgern und Katzenfotos. Demnächst wird sie im DC-Superhelden-Flick "Schazam! Fury Of The Gods" und neben Gal Gardot als "Schneewittchen" zu sehen sein.

Und die Musik? Das Orchester wurde von Pult-Superstar Gustavo Dudamel dirigiert, das Original wurde mit Samthandschuhen neu arrangiert - auch hier wollte Spielberg keinen Bruch mit Bernsteins Vorlage. Es gibt gleichzeitig allerdings auch eine "re-imagined"-Version, die ein wenig radikaler zur Sache geht. Mit dabei etwa Kali Uchis, die "Another Day in America" neuinterpretiert. Nicht im Film - aber auch sehr spannend.

Andreas Bovelino

Über Andreas Bovelino

Redakteur bei KURIER freizeit. Ex-Musiker, spielte in der Steinzeit des Radios das erste Unplugged-Set im FM4-Studio. Der Szene noch immer sehr verbunden. Versucht musikalisches Schubladendenken zu vermeiden, ist an Klassik ebenso interessiert wie an Dance, Hip-Hop, Rock oder Pop. Sonst: Texte aller Art, von philosophischen Farbbetrachtungen bis zu Sozialreportagen aus dem Vorstadt-Beisl. Hat nun, ach! Philosophie, Juristerei und Theaterwissenschaft und leider auch Anglistik durchaus studiert. Dazu noch Vorgeschichte und Hethitologie, ist also auch immer auf der Suche einer archäologischen Sensation. Unter anderem.

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