Videokünstler Bill Viola: Von der Avantgarde zum Kitsch
Das Museum der Moderne Salzburg zeigt das Werk des US-Kunststars. Es ist überwältigend, läuft sich aber bald in Klischees tot
Pathos hat für den aufklärerisch-modern gestimmten Menschen einen schlechten Beigeschmack: Die ungenierte Attacke auf die Gefühlsdrüsen ist ein Taschenspielertrick, eine Abkürzung für all jene, denen der Weg über stilistische und konzeptuelle Brillanz zu mühsam ist. Sieht man dem Pathos seine Künstlichkeit allzu sehr an, wird es gar ununterscheidbar von seinem ungehobelten Verwandten, dem Kitsch.
Solche ästhetischen Proseminar-Gedanken blubbern durch den Kopf, wenn man in das verheißungsvoll abgedunkelte Obergeschoß des Museums der Moderne am Salzburger Mönchsberg emporgestiegen ist. Drei Menschen erscheinen dort in buchstäblicher Versenkung auf hochauflösenden Videoschirmen, scheinbar endlos in einem Schwebezustand unter Wasser festgehalten. Nur das gelegentliche Blubbern verheißt Leben. Mit dem Entstehungsdatum 2013 sind es die jüngsten Arbeiten in der Retrospektive des US-amerikanischen Videokünstlers Bill Viola, der hier erstmals – man glaubt es kaum – einen großen Auftritt in einem österreichischen Museum bekommt.
Feuer, Wasser, Sturm
In der internationalen Kunstwelt ist Viola freilich längst kanonisiert, fast fünf Jahrzehnte umspannt das Oeuvre des New Yorkers. Die erste Konfrontation mit seinen großen, oft auf extreme Zeitlupe heruntergebremsten Bildern, in denen Bewegungen des Körpers, des Gesichts oder des Gemüts eine überdimensionale Bedeutung zu erlangen scheinen, kann umwerfend sein: Ihr Rezensent hatte seine Viola-Initiation 2003 im Getty-Museum in Los Angeles, wo die Serie „The Passions“ Ausdrucksgesten von Menschen in altmeisterlicher Manier auf Video bannte.
„Pathosformeln“ nannte der Kunsthistoriker Aby Warburg jene Gesten, die Gefühl bedeuten, und die sich seit der Antike in erstaunlicher Konstanz erhalten haben. In der Salzburger Schau beobachtet man sie am besten im Werk „The Raft“ von 2004: Eine Gruppe Menschen, die zu einer Versammlung zusammengekommen scheint, wird darin von zwei Wasserfontänen überrumpelt – und in Zeitlupe gefilmt. Das Bewegtbild schließt an den berühmten Schiffbruchs-Schinken „Das Floß der Medusa“ von Theodore Gericault (1818–’19) im Louvre an, doch angesichts von Klima- und Wetterkatastrophen liegen durchaus aktuellere Assoziationen nahe.
Ja, Pathos ist nicht per se schlecht, es kann in der ästhetischen Verdichtung viel leisten. Und doch stellt sich nach dem ersten Wow-Effekt am Mönchsberg der Eindruck ein, dass sich das Vokabular bei Bill Viola totgelaufen hat, zumal auch die in den Nullerjahren spektakuläre Technik (hoch aufgelöstes Video!) an Neuigkeitswert eingebüßt hat.
Wege ohne Ziel
Das Breitwandpanorama „The Path“ (2002), in dem eine Prozession durch einen Wald zu sehen ist, bettelt nun aufdringlich darum, als Paraphrase für die Menschheit und eh alles gelesen zu werden (Jung und Alt! Auf einem Weg! Wir wissen nicht wohin!). Bei der Zweikanal-Installation „Night Vigil“ (2005/’09), in der sich eine Kerzerl entzündende Frau und ein auf ein Feuer zumarschierender Mann aufeinander zubewegen, wird die religiös aufgeladene Symbolik dann gänzlich unerträglich.
Wie sehr Viola dem Ruf des Spektakels nachgegeben hat, wird in der Kombination mit zwei Frühwerken in der Salzburger Schau auf fast tragische Weise offensichtlich.
In dem Video „The Reflecting Pool“, 1977–’79 in körniger Auflösung gefertigt, steckt konzeptuell alles drin: In dem Film wird die Zeit angehalten, eine Handlung (ein Mann springt in ein Becken) zerpflückt, die Logik von Ursache und Wirkung aufgelöst. Der dringende Wunsch, die Möglichkeiten des Mediums Video auszuloten, es auf das Niveau hoher Kunst zu heben, ist hier spürbar.
Es ist jener „Wow“-Effekt, der kein Pathos braucht. Doch eine Flutwelle macht natürlich um einiges mehr Wumms.
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