Gaming trifft auf Kunst - und plötzlich knirscht es im Metaversum

Die Secession und das MAK zeigen satirische und kritische Ausstellungen zu digitalen Welten

Glaubt man den Propheten des digitalen Fortschritts, dann werden in absehbarer Zeit auch noch die letzten Bodenwellen zwischen der Welt innerhalb und außerhalb des Computers planiert.

Wir sagen nur: Metaverse, „immersive“ Spielwelten, Deepfake-Bürgermeister.

Doch digitale Kreateure kennen auch Selbstkritik und wissen, dass die vorherrschenden digitalen Allmachtsfantasien keineswegs alternativlos sind. Sie streuen vermehrt Sand ins Getriebe des scheinbar endlosen Fortschritts – und dieser rieselt nach und nach auch in honorige Kunstinstitutionen.

Zwei Ausstellungen zeigen in Wien derzeit recht unterschiedliche Wege, die Ästhetik von Computergames und Metaversen zu reflektieren.

©Oliver Ottenschläger

Punkte sammeln

Da ist einmal die Arbeit „Pandemic Pandemonium“ des französischen Künstlers Neil Beloufa und seines Teams namens EBB in der Wiener Secession (bis 4. September) – ein begehbares Spiel mit mehreren Abschnitten, bewusst als trashig-klotzige Satire angelegt. Besucher brauchen zum vollen Erlebnis ein Extra-Ticket mit QR-Code (2 €) und müssen auf ihrem Nutzerkonto Punkte sammeln – allein dies eine Parodie auf den Scan-Zwang und die „gamifizierte“ Belohnungslogik, die vom Corona-Test bis zum Supermarkteinkauf alles strukturiert.

„Meine Kinder sind es gewohnt, Werbung anzuschauen, um Zugang zu allerlei Sachen zu erhalten – ich dachte, ich ersetze die Werbung durch Kunst“, sagt Beloufa lapidar dazu. Die „Werbevideos“ sind Abschnitte eines Films, den Beloufa bereits 2014 drehte – und der die Situation voraussah, dass eine Pandemie Menschen dazu zwingt, nur über Bildschirme miteinander zu kommunizieren. Elemente aus den Clips werden in der Secession in einem Quiz abgefragt – an Spielautomaten mit tapsiger Riesentastatur oder Tipp-Armen, die das Antworten möglichst umständlich machen.

©Oliver Ottenschläger

Klingel, Klingel, Blink

Wer die Klingel-Klingel-Blink-Atmosphäre der Spielsäle in Adria-Urlaubsorten mag, wird es lieben: Hier ist alles noch schriller, dabei aber großflächig mit kritischem Geist übersät. Ein bisschen wirkt es allerdings, als hätte Beloufa gar viel hineingepackt, um möglichst alle Knöpfe der Zivilisationskritik zu drücken – es geht im Spiel nämlich auch noch um Steuervermeidung, um Sand (als rarem Rohstoff) und um den NFT-Boom: Dass die Bildchen, die man selbst gestalten kann, äußerst banal sind, darf man als Kritik am Kunst-Trend verstehen. Dann schon lieber ein guter alter Siebdruck – einen solchen gibt es nämlich auch zu gewinnen.

©LaTurbo Avedon

Nonbinär digital

Ganz anders, nämlich im Hochglanzformat, geht die Schau „Pardon Our Dust“ im MAK (bis 25. 9.) an die Gaming-Welt heran: Hier stellt LaTurbo Avedon aus, eine Künstlerpersönlichkeit, die nur als Avatar existiert. In der MAK-Schau begegnet Avedon (vom Geschlecht her wenig überraschend „nonbinär“) auf mehreren Screens, oft umrahmt von Zeichen und Ornamenten, wie man sie von Charakterprofilen bei Games kennt. Doch Avedon ist ein Gestaltwandler: 2008 tauchte der Avatar erstmals im Ur-Metaversum „Second Life“ auf, auch in den Spieluniversen von Fortnite und Star Citizen ist die KünstlerIn zu Hause.

©LaTurbo Avedon

Im MAK fängt einen jedenfalls die schiere Brillanz der Bilder ein: Man sieht eine überflutete Tankstelle in der Dunkelheit, unheimlich vernebelte Vorstadtgegenden, manche Bilder werden auch mithilfe Künstlicher Intelligenz ins Abstrakte gekippt.

Zwar gibt es Konzepte hinter den Motiven – so spielen etwa Häuser in der Videosequenz auf die „Landnahme“ im digitalen Raum an, das Wasser in den Videos soll an den Fluss Lethe anknüpfen, der in der antiken Mythologie Vergessen verheißt.

Doch ist es die Abstraktion und Verrätselung, die Avedons Bilder von ihren Wurzeln in der Gaming-Ästhetik abkoppelt und auch von der Gefahr entfernt, Vorgänge im digitalen Raum nur platt zu illustrieren. Wer wissen will, wie sich die Formbarkeit des Digitalen anfühlt, kann hier einfach einmal schauen.

Michael Huber

Über Michael Huber

Michael Huber, 1976 in Klagenfurt geboren, ist seit 2009 Redakteur im Ressort Kultur & Medien mit den Themenschwerpunkten Bildende Kunst und Kulturpolitik. Er studierte Publizistik und Kunstgeschichte und kam 1998 als Volontär erstmals in die KURIER-Redaktion. 2001 stieg er in der Sonntags-Redaktion ein, wo er für die Beilage "kult" über Popmusik schrieb und das erste Kurier-Blog führte. Von 2006-2007 war Michael Huber Fulbright Student und Bollinger Fellow an der Columbia University Journalism School in New York City, wo er ein Programm mit Schwerpunkt Kulturjournalismus mit dem Titel „Master of Arts“ abschloss. Als freier Journalist veröffentlichte er Artikel u.a. bei ORF ON Kultur, in der Süddeutschen Zeitung, der Kunstzeitung und in den Magazinen FORMAT, the gap, TBA und BIORAMA.

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