Tote-Hosen-Sänger Campino: "Putins Linie ist grausam und falsch"

Das Interview zum 40-Jahr-Jubiläum, dem neuen Album und der Tour mit dem KURIER-Konzert am 2. 7. in der Wiener Krieau.

Sie feiern heuer das 40-Jahr-Jubiläum Ihrer Band Die Toten Hosen. Können Sie sich noch an die allererste Probe erinnern?

Campino: Die ersten Proben waren in der Wohnung unseres damaligen Schlagzeugers Trini. Die Wände waren sehr dünn, deshalb rückte häufiger die Polizei an. Sobald das einer von uns mitgekriegt hat, haben wir sofort aufgehört zu spielen. Die standen dann unten herum, haben gelauscht und versucht herauszufinden, aus welchem Stockwerk der Krach kam und mussten oft unverrichteter Dinge wieder fahren. Tatsächlich war das schon im Dezember 1981. Weil wir uns aber an den genauen Tag der Bandgründung nicht mehr erinnern können, haben wir uns irgendwann einmal auf das Datum unseres ersten Konzertes als offiziellen Geburtstag geeinigt. Und das war Anfang April 1982, damals zu Ostern - ein Konzert in Bremen, bei dem wir irrtümlich als Die Toten Hasen angekündigt wurden.
 
 

Wie haben sie diesen 40. Geburtstag denn gefeiert?

Ich hätte ihn schon gerne mit den anderen gefeiert. Aber an dem Tag spielte Liverpool auswärts gegen Manchester City. Und so leid es mir tat, da musste ich dabei sein. Denn an dem Geburtstag kann ich nichts mehr ändern, aber beim Spiel kann ich Einfluss nehmen und unsere Jungs nach vorne schreien. Deshalb war ich an dem Wochenende in England. Und mit der Band sehen wir uns ja ohnehin täglich im Proberaum. 
 

Sie feiern auch mit dem Best-Of-Doppel-Album „Alles aus Liebe: 40 Jahre Die Toten Hosen“, das kommenden Freitag erscheint . . .

Ich glaube, das ist mehr eine Anthology als ein Best-Of. Es war uns nämlich wichtig, nicht nur die Hits abzubilden, sondern auch die Songs, die uns etwas bedeutet haben und für Schlüsselstellen der Bandgeschichte standen. Zum Beispiel unsere erste Single „Wir sind bereit“, aber auch „Kamikaze“ und „Nur zu Besuch“.
 
 

Alles aus Liebe: 40 Jahre Die Toten Hosen Cover

©JKP
Zusätzlich gibt es sieben neue Song. „Scheiß Wessis“ haben Sie als Doppelsingle mit einem Track Ihres Freundes Marteria herausgebracht, der „Scheiß Ossis“ singt. Darin machen Sie sich über Vorurteile lustig, die so viele Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung immer noch auftreten. Warum haben Sie nach dem Beginn des Krieges gegen die Ukraine ein Erklär-Video dazu gedreht?

Diese Songs sind als Hymnen auf den Zusammenhalt und die Freundschaft gedacht. Vor allem unter dem Eindruck der ersten Tage des Krieges haben wir uns aber schon überlegt, die Veröffentlichung zu stoppen. Denn der zeitliche Kontext, in dem sie erschienen, war auf einmal ganz anders, als gedacht. Wir haben über mehrere Tage lange Gespräche darüber geführt und beschlossen, darauf zu vertrauen, dass die Leute die Songs und die Selbstironie schon richtig verstehen werden. Außerdem waren die Vinyl-Singles auch schon geordert. Das muss man aufgrund der Materialknappheit aktuell schon sechs Monate vor Erscheinen machen.

Ging es bei diesen Gesprächen auch darum, dass die Wiedervereinigung vielleicht mit ein Auslöser für den Krieg war, weil Putin damals offenbar Versprechungen gemacht wurden, die nicht eingehalten wurden?

Nein, darum ging es nicht. Dass sich der Westen und die Nato nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion teilweise falsch verhalten haben und in der Hybris von oben herab und durchaus taktlos waren, hat vielleicht auch einen Teil dazu beigetragen, dass sich bei Putin ein wahnsinniger Frust angesammelt hat. Das ist aber natürlich absolut keine Berechtigung für das, was jetzt passiert. Dieser Angriffskrieg ist absolut inakzeptabel. Putin fällt über ein Volk her, das so lange Seite an Seite mit Russland gestanden hat und auch so viele Opfer für Russland gebracht hat. Das hat eine ganz andere Qualität. Es ist ein Verbrechen.
 
 

Eine jetzt in Wien lebende Sängerin, die gebürtige Russin ist, aber lange in der Ukraine gelebt hat, hat mir erzählt, dass sie das Gefühl hat, dass man in Russland gerne die Lügen von Putin glaubt und nicht an der Wahrheit interessiert ist. Sie haben schon oft in Russland gespielt. Wie haben Sie die diesbezügliche Stimmung empfunden?

Ich habe die Menschen in Moskau als sehr großherzig, mit viel Leidenschaft und Freude am Feiern erlebt. Möglicherweise ist es ein Reflex, dass eine Nation zuerst einmal zusammenrückt, wenn es eine Krise gibt. Außerdem haben Putin und seine Genossen das jahrelang medial vorbereitet. Die gesamte Presse- und Rundfunklandschaft ist unter seiner Kontrolle. Ich glaube, dass dieses Brainwashing eine sehr effektive Maßnahme war, um die Bürger mit der Zeit auf den falschen Weg zu führen. Bei den Nazis in Deutschland hat es ja auch geklappt, die Bevölkerung an etwas glauben zu lassen, was völliger Wahnsinn war. Dazu kommt, dass wir Menschen uns gerne bestätigt sehen wollen. In Zeiten des Internets hat jeder seine Quellen, die das bekräftigen, woran man eh schon glaubt, und keiner will mehr hören, was die Gegenseite sagt. Alle schreien sich nur noch an und es ist kein argumentativer Austausch mehr möglich. Das ist tragisch, und man kann nur hoffen, dass bei der russischen Bevölkerung langsam ankommt, dass Putins Linie grausam und falsch ist, das Ganze nichts mit einem Entnazifizierungs-Programm oder einer Spezialoperation zu tun hat, und sie sich in einem brutalen, völkerrechtswidrigen Krieg befinden.
 
 

Ein anderer neuer Songs ist „Chaot (in mir)“, in dem Sie über schwere Party-Abstürze singen. Wann sind Sie das letzte Mal in einem Bett aufgewacht, wo Sie nicht mehr gewusst haben, wie sie hingekommen sind?

Das passiert Gott sei Dank nicht mehr allmonatlich! Aber das letzte Mal, als ich Kopfschmerzen vom schweren Feiern hatte, war Ende April nach dem 2:0 beim Heimspiel von Liverpool gegen Villarreal. Danach sind wir übel unter die Räder gekommen. Das war der letzte Ausrutscher, bei dem ich gedacht habe: “Das hätte wirklich nicht sein müssen. Da muss eh noch das Rückspiel gespielt werden, und jetzt hast du einen Tag heftiger Kopfschmerzen vor dir - und am Tag drauf wahrscheinlich auch noch.“

Sie singen in dem Lied auch von „Fehlern“. Wie weit spielt dabei der Druck, in der Öffentlichkeit zu stehen mit? Müssen Sie sich deshalb in gewissen Dingen zurückhalten?

Das ist kein allzu großes Problem, denn ich will nicht gern in der Öffentlichkeit derangiert auftreten. Ich möchte schon daran glauben, dass es in meinem Leben noch die eine oder andere heftige Party und den daraus resultierenden Absturz geben wird. Aber dabei möchte ich nicht mehr gesehen werden. Wenn man Mitte 20 ist und besoffen aus einem Club raus auf die Straße fällt, hat das was Juveniles, vielleicht auch Romantisches an sich, und es wird einem nachgesehen. Aber wenn man in meinem Alter ist, sieht das einfach nicht gut aus.
 
 

Sie werden im Juni 60….

Genau, und Sie hören, dass ich gerade versuche, dem Benehmen eines 60-Jährigen zu entsprechen. Das ist aber auch gar nicht so schwer. Ich glaube, viele der Einsichten im Leben muss man sich gar nicht erarbeiten, die kommen von alleine. Zum Beispiel die Frage: Brauche ich die fünfte Feier hintereinander, oder lege ich mich lieber ins Bett und bin am nächsten Tag frisch? Ich versuche, meine Kraft zu fokussieren. Speziell, wenn, wie jetzt, eine Tournee ansteht. Da möchte ich, dass die Leute, die zu den Konzerten kommen, eine tolle Zeit haben und unsere volle Energie abkriegen. Dazu muss ich mich vorbereiten und auch ein Stück weit zusammenreißen. In dieser Zeit darf ich mich nicht gehen lassen, sonst kriege ich das mit der Tour nicht hin. Deshalb muss auch die Feier zu meinem 60. dieses Jahr erst einmal ausfallen, weil der auf einen freien Tag zwischen zwei Konzerten fällt. Und ich hoffe sehr, dass wir die Tournee problemlos durchziehen können.
 
 

Ohne Probleme wegen Corona, meinen Sie?

Wegen Corona und auch wegen des Krieges in der Ukraine, von dem keiner weiß, wie weit er noch eskaliert. Aber selbstverständlich ist Corona nach wie vor ein Thema. Wir werden als Band viel achtsamer sein müssen, als es die Regeln, die dann gelten, vorschreiben. Denn wenn einer von uns krank wird, müsste er sich in Isolation begeben und darf nicht unter Menschen. Dann würden Konzerte ausfallen. Das ist mit jedem Abend ein Millionenschaden, weil man sich gegen pandemiebedingte Ausfälle nicht mehr versichern kann. Wir werden also sehr vorsichtig sein. Das ist aber auch absolut okay, denn wir freuen uns ja riesig, dass wir endlich wieder spielen dürfen. Wenn alles vorüber ist, gibt es dann für mich vielleicht ja auch ein großes Geburtstagsfest.
 

 

 

 

Brigitte Schokarth

Über Brigitte Schokarth

Brigitte Schokarth kennt die Rock/Pop/Indie-Welt in allen Aspekten, pendelt für Konzerte zwischen Flex und Stadthalle, für Interviews zwischen Berlin, London und New York. Sie spricht genauso gern mit Robbie Williams und Pink wie mit Amanda Palmer und James Blake und spürt in den Clubs der Musikmetropolen Trends und Newcomer auf.

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