Musikfestivals der Zukunft setzen auf Bombast statt Morast

Die Festival-Saison nimmt an Fahrt auf. Das Publikum ist feierwillig, aber auch sehr anspruchsvoll. Was die Menschen erleben wollen und wie die Festivals in Zukunft aussehen.

Vor rund 40 Jahren brauchte es für ein Wochenende voll mit ohrenbetäubender Musik und Spaß an der frischen Luft nur das wirklich Nötigste. „Als ich in den 1980ern zu einem Festival gefahren bin, hatte ich einen Doppler, einen Schlafsack und eine Rolle Klopapier mit“, blickt Ewald Tatar zurück.

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Heute werden damit wohl nur mehr die wenigsten glücklich. Auf dem Nachhauseweg vor sich hinstinken und gleichzeitig von Magenkrämpfen geplagt sein, die schlechte Verpflegung mit sich bringt, gehört nicht mehr unbedingt zum Erlebnis dazu. Weder bei den alten Hasen, die sich das dereinst angetan haben, noch bei den jungen Hüpfern, die nachkommen. „Ein Festival muss gepflegte Sanitärbereiche und Duschen aufweisen“, erklärt der Chef der Barracuda-Music-Agentur, die unter anderem das Nova Rock und das Frequency veranstaltet.

Dazu gehört auch ein Kulinarik-Angebot, das aus mehr als nur Langos und Pommes besteht. „Die Ansprüche gehen nach oben. Die musst du ständig halten – oder gar toppen.“ Glamouröses Campen, das Glamping, gehört ohnehin schon zum guten Ton.

Aber auch sonst müssen sich die Verantwortlichen heute und besonders in der Zukunft einiges einfallen lassen, damit der Gute-Laune-Pegel nicht absackt. „Eine Bühne mit Bands reicht heute nicht mehr. Es braucht permanent Nebenveranstaltungen“, sagt Monika Kohlhofer, Studiengangsleiterin für Sport-, Kultur- und Veranstaltungsmanagement an der FH Kufstein. „Es geht um ein Gesamterlebnis, das hier inszeniert wird.“

Disney World für Erwachsene

Sie verweist auf das Mega-Festival Tomorrowland in Belgien, das auf dem internationalen Markt den Takt vorgibt. Es zeigt, wie ein Festival heutzutage auszusehen hat. Und wohin der Weg gehen kann. An mehreren Wochenenden hintereinander pilgern im Juli bis zu einer halben Million Menschen ins belgische Boom. Dort warten Wohnturm-hohe Kulissen, die an ein Disney World oder einen farbenfrohen substanzinduzierten Trip erinnern. Die Besucher aus aller Welt picken sich Glitzer ins Gesicht, umhüllen sich mit Flaggen ihrer Herkunftsländer und tanzen vornehmlich zu Klängen internationaler EDM-Stars, während sich die Kulisse bewegt.

Das aufwendig inszenierte Tomorrowland in Belgien ist Vorbild für viele andere
Festivals rund um den Globus 

©Tomorrowland PR

Schon das Festivalband wird in einem magischen, aufklappbaren Buch zugesandt, das Personal ist thematisch passend adjustiert. „Man taucht in eine Märchenwelt ein. Die Besucher werden niemals losgelassen.“ Denn, wer jung ist, will ständig neue Eindrücke und Abwechslung. Dass habe mitunter den Effekt, dass es nicht mehr so exzessiv zugeht. „Die Menschen werden mehr gelenkt. Das individuelle Feiern fällt weg. Dadurch, dass das Publikum in ein Erlebnis gedrängt wird, gibt es auch nicht mehr so viel Platz fürs Ausleben“, erklärt die Expertin. Da kann der Rausch dezent ausfallen. Gut für die Eltern daheim. Die brauchen sich nicht so sehr sorgen, wenn sich der Nachwuchs amüsiert.

Was es auf jeden Fall geben muss, ist ein Rausch der Sinne. Das Bühnendesign muss schon jetzt alle Stückerln spielen. Seien es aufwendige Lichtershows, Videoinstallationen oder Pyrotechnik. Dem kann man sich auch als heimischer Veranstalter nicht entziehen. Selbst beim ursprünglich eher puristisch geschmückten Nova Rock. „Gerade am Abend muss man etwas bieten. Das Publikum honoriert das aber auch sehr. Die Bilder gehen ganz stark auf Social Media“, sagt Tatar. Nachsatz: „Natürlich sind diese Impressionen auch ein Werbeträger.“

Viel Licht, wie es in Las Vegas üblich ist, beim Electric Daisy Carnival EDC. 

©TNS/Las Vegas Review-Journal/getty images

Zukünftig werden laut Kohlhofer wohl auch große 3-D-Projektionen eine immer wichtigere Rolle spielen. Derartiges gibt es jetzt schon bei den Veranstaltungen der globalen Party-Marke Afterlife zu erleben. Menschenhologramme schweben von der Decke oder überdimensionale Cyber-Menschen scheinen aus Videowänden hervorzutreten – das Publikum hat dabei nicht einmal 3-D-Brillen auf.

So könnten bald viele Festivals aussehen. Die globale Party-Marke Afterlife setzt auf große 3-D-Projektionen.

©after.life/tulum

Während der Corona-Pandemie haben auch große Veranstalter mit Virtual Reality experimentiert und versucht, Konzerte und DJ-Auftritte in den imaginären Raum zu verlegen. Dass sich das durchsetzt, glaubt Tatar nicht: „Es wird viel probiert. Aber Live is life – ich bin kein Freund davon. Immerhin investiere ich viel Geld in die Realität, warum soll ich die künstlich erzeugen?“ Auch Kohlhofer ist skeptisch, dass sich Virtual Reality – zumindest mit Brille – durchsetzt. „Es geht um ein Miteinander, das funktioniert im virtuellen Raum schwer.“

Musik gibt es natürlich auch noch. Obwohl Kohlhofer konstatiert, dass die nicht mehr die Hauptrolle spielt. Und in den kommenden Jahren werde sie noch mehr in den Hintergrund treten. Für den Erfolg einer Veranstaltung empfiehlt es sich auf jeden Fall, musikalisch eher in die Breite zu gehen, als auf nur ein Genre zu setzen. Das hat Barracuda beim Nova Rock gemacht, als man mitunter softer wurde und nicht mehr nur auf Metal und harten Rock setzte. Da darf es schon einmal Bilderbuch sein. Beim Frequency verließ man die Indie-Ecke und verpasste der Veranstaltung mehr EDM und Hip Hop. Und mögen einige laut geklagt haben, der Erfolg gab recht. „Seither sind wir immer ausverkauft“, sagt Tatar.

Denn junge Menschen holen sich musikalisch, was ihnen gefällt. Sie sehen sich anders als früher nicht an ein Genre oder eine Szene gebunden. „Auf den Streamingplattformen kann man sich schneller in andere Sachen reinhören. Früher musste man sich um einiges an Geld eine CD kaufen – heute gibt es einfachen Zugang zu so vielen Genres. Da ist man viel schneller“, analysiert Tatar.

Ist klassischer Rock tot?

Kohlhofer sieht ein Ablaufdatum für die Rock-Festivals, wie man sie lange gewohnt war: Bühne, alte Haudegen, Camping-Platz, fertig. „Zumindest Menschen unter 40 Jahren interessiert so etwas kaum mehr. Das lässt sich beispielsweise beim Metal-Festival Wacken erkennen, hier kommt nur mehr wenig Nachwuchs.“

Auch beim Hellfest (F) braucht es eine adäquate Kulisse 

©APA/AFP/LOIC VENANCE

Besonders erfolgreich sind jene, die über Social Media die schönsten und spektakulärsten Bilder in die Welt hinausschicken können. So sind globale Marken entstanden, die beinahe auf jedem Kontinent zu finden sind. Da weiß man, was man bekommt. Das ist unter Umständen gut. Aber: Im Konzert der Großen gehen andere unter. „Kleine Festivals tun sich schwer. Es gib immer weniger davon“, erklärt die Expertin. Und sie gibt zu bedenken: „Allerdings kann über die Netzwerke auch Ruf zerstört werden. Daher ist es wichtig, dass alle Dinge passen.“

Wir erinnern uns: Das Publikum ist anspruchsvoll. „Schlechtes Wetter und Matsch nimmt diese Generation nicht mehr so einfach hin.“ Immerhin zahle man eine Menge Geld – viel mehr als früher – für den Besuch. Und dann muss auch dafür gesorgt sein, dass das gut ausgesuchte und abgestimmte Outfit nicht allzu schmutzig wird. Dazu fordert das Publikum, dass der Spaß auf Festivals nachhaltig ist – er soll nicht nur lange andauern, sondern auch ökologisch sein. „Allerdings ist es mitunter selbst nicht so weit“, sagt Kohlhofer. Bilder von zurückgelassenen Zelten und Campingsesseln gehören noch immer nicht der Vergangenheit an. Hoffen wir auf die Zukunft.

Daniel Voglhuber

Über Daniel Voglhuber

Redakteur bei der KURIER Freizeit. Er schreibt dort seit Dezember über Reise, Kultur, Kulinarik und Lifestyle. Also über alles, was schön ist und Spaß macht. Er begann 2011 als Oberösterreich-Mitarbeiter in der KURIER-Chronik, später produzierte er lange unterschiedliche Regionalausgaben. Zuletzt war er stellvertretender Chronik-Ressortleiter.

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