Kritik

Eine Oper wie ein furioses Ausrufezeichen

Tobias Pickers „Thérèse Raquin“ in der Wiener Kammeroper.

Sex und Gewalt, Spießerhölle und Leidenschaft, Abhängigkeiten und Mord, Schuld und Sühne – das sind die Ingredienzien in Tobias Pickers Oper „Thérèse Raquin“, mit der das Theater an der Wien in seiner Dependance Kammeroper ein furioses Ausrufezeichen setzt.

Denn gemütlich ist da gar nichts in dieser auf dem gleichnamigen Roman von Émile Zola basierenden Geschichte – das Libretto verfasste Gene Scheer – rund um die zwangsverheiratete Thérèse Raquin, die gemeinsam mit ihrem Liebhaber Laurent den Ehemann Camille ermordet und so in einen Teufelskreis des Wahnsinns gerät. Mit letalem Finale für viele der Beteiligten.

©Herwig Prammer

Furiose Einspringerin

2001 hat der amerikanische Komponist Picker diese Story in Töne gesetzt; 2006 erfolgte eine Kammermusikfassung. Diese ist nun als österreichische Erstaufführung zu erleben, was auch wiederum fast an ein Wunder grenzt. Denn die eigentliche Premiere musste aufgrund einer Erkrankung der vorgesehenen Hauptdarstellerin (Halsentzündung) um ein paar Tage verschoben werden. Als famose Einspringerin konnte die amerikanische Mezzosopranistin Julia Mintzer gewonnen werden, die binnen vier Tagen (!) die Partie der Thérèse Raquin musikalisch wie auch szenisch einstudierte. Ein Grenzgang, der sich ausgezahlt hat.

Denn Mintzer ist diese Thérèse, eine in der Spießerhölle gefangene Frau, die sich befreien will, die leidenschaftlichen, obsessiven Sex mit dem Maler Laurent hat, um nach dem gemeinsamen Mord dem Irrsinn zu verfallen. Und all das sieht man auch extrem drastisch. Denn Regisseur Christian Thausing macht keine Gefangenen. Er transportiert das Geschehen aus dem 19. Jahrhundert in ein trostloses amerikanisches Kleinstadt-Ambiente, für das Christoph Gehre ein fantastisch detailliertes Einheitsbühnenbild geschaffen hat. Und ja, alle Sexszenen sind sehr explizit dargestellt; im zweiten Akt lässt dann aber fast ein Film wie „Einer flog über das Kuckucksnest“ grüßen. Mintzer ist da mittendrin, singt und spielt bis zur völligen Entäußerung. Kompliment!

©Theater an der Wien/Herwig Prammer

Neben Mintzer überzeugen in diesem an die Arbeiten eines Christoph Marthaler erinnernden Setting Timothy Connor als präsenter, viriler Laurent, Andrew Morstein als gekonnt schwächelnder Camille sowie Juliette Mars, Miriam Kutrowatz, Ivan Zinoviev und Hyunduk Kim in kleineren, aber wichtigen Partien. Ein starkes Ensemble, das stimmlich wie darstellerisch alles gibt.

Flotte Mixtur

Und die Musik? Die changiert perfekt zwischen Tonalität und Atonalität, scheut auch Anklänge an das Musical oder die Filmmusik nicht. Da gibt es Arien, und Ensembles, die eingängig sind. Aber auch harte melodische Brüche, die für die Seelenzustände der Protagonisten stehen. Eine stilistische Mixtur, die in sich aber stringent ist.

Dirigent Jonathan Palmer Lakeland setzt all das mit dem Wiener KammerOrchester sehr gut um. In etwa zweieinhalb Stunden (mit Pause) wird nebenbei auch der amerikanische Musikkanon durchdekliniert.

Nach der Reprise (heute, Samstag) soll in den Jänner-Vorstellungen übrigens Valentina Petraeva die Thérèse Raquin gestalten. Man darf auch hier auf einen Psychothriller hoffen.

Peter Jarolin

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