Wieso Erwachsene wieder mit Lego spielen

Die Wanderausstellung "The Art of the Brick“ zeigt in London Kunstwerke aus Lego. Erwachsene spielen wieder gerne – das hat Effekte auf Körper und Geist

Als Kind hatte Nathan Sawaya hinter der Couch eine Stadt aus Lego. Und als er sich einen Hund wünschte, zerlegte er die Stadt und baute – ohne Vorlage – einen lebensgroßen Vierbeiner. "Er war ein bisschen box-ig, also hab ich ihn Boxer genannt.“ Der Amerikaner liebte es, aus fertigen Dingen, Neues zu kreieren. Weil ihm nicht bewusst war, dass man Kunst studieren kann, wurde Nathan Anwalt. 

Doch der Ruf der Steine wurde immer lauter – bis er nachgab. Nun ist die Wanderausstellung "The Art of the Brick“ (die Kunst des Ziegelsteins) in der – äußerst passenden – Londoner Brick Lane zu besichtigen.

©The Art of Brick

In weiten, dunkel gehaltenen Ausstellungsräumen kommt man vorbei an Händen, Gitarren oder einer Giraffe aus Lego. Kommt zu metergroßen Masken und kreativen Skulpturen, wie einem gelben Oberkörper, der sich die Brust aufreißt. Und erreicht dann die Kunstwerke: Davids Michelangelo. Rodins Denker. Klimts Kuss. Nachgebaut mit Tausenden – im Fall von Klimt 18.893 – Legosteinen.

Der Baustein ist erwachsen geworden. Nicht nur in den Kunstwerken von Nathan Sawaya, sondern generell. 

©REUTERS/Tom Little

"Adults Welcome“ (Erwachsene Willkommen) prangt auf dem Cover des neuesten Produktkatalogs. In dem das Yamaha-Motorrad oder das McLaren-Rennauto als Dekoration für den erwachsenen Schreibtisch angepriesen werden. Aber wieso finden die Baustein-Sets – auch günstigere Alternativen zu Lego – der Kindheit ihren Weg zu den Erwachsenen?

Weg mit dem Stress

"Viele finden in dem Spiel Halt in sich selbst“, sagt Psychotherapeutin Béa Pall vom Österreichischen Bundesverband für Psychotherapie. Das Aufbauen folgt einer bestimmten Abfolge und man ist dabei auf eine einzige Aufgabe konzentriert. "Das hilft, die stressigen Gedanken, die von der Arbeit im Kopf herumschwirren, abzubauen.“ 

Béa Pall

©Ricardo Gstrein

Das Zusammensetzen ist kontemplativ. Man ist ruhig, aber konzentriert, braucht Ausdauer und ist im Hier und Jetzt. Beim Lego, aber auch beim Puzzeln, beim Rätseln. "Ein ideales Gegengewicht zur komplexen und belastenden Umwelt“, meint Psychotherapeutin Pall.

Denn nicht nur Lego- (oder andere Bau-)Steine erleben eine Konjunktur unter Erwachsenen. Drei von vier Österreicher spielen, so eine aktuelle Studie. Am beliebtesten bei allen Altersgruppen: Puzzle, Quiz und Wortspiele. Im Corona-Jahr 2020 hat Ravensburger ein Drittel mehr Puzzles als im Jahr zuvor verkauft. Seitdem steigen die Zahlen zwar nur leichter, aber weiterhin. Die Spielewelt ist eine entspannend lineare. Der Stein passt oder passt nicht. Die Antwort ist eindeutig, ohne Graustufen, und am Ende gibt es ein vollständiges, ästhetisches Produkt.

©Bauer Anna-Maria

Über das Glück beim Spielen hat die Britin Abbie Headon ein Buch geschrieben: "Build Yourself Happy“ (Bau dich glücklich). Ob sie ein Buch für gestresste Erwachsene wie sie schreiben würde, die seit Jahrzehnten nicht mehr mit den Klötzchen gespielt hatten, fragte der dänische Bausteinhersteller. Und so, erzählt sie in der Washington Post, kaufte sie ein Sackerl und machte sich an die Arbeit. Kapitel sechs: Sei wieder Kind.

Her mit Erinnerungen

Baustein-Bauen weckt das jüngere, verspielte Ich in uns. Man erinnert sich vielleicht an die Sets, die man als Kind zu Weihnachten bekommen und noch am Heiligen Abend aufgebaut hat. "Die Erinnerungen sind oft mit starken Gefühlen verbunden, die uns helfen, lebendig zu sein“, so Pall. Und die uns mit ihrer kindlichen Leichtigkeit anstupsen, Neues zu probieren.

©Bauer Anna-Maria

Das erste Objekt, das man in der Lego-Ausstellung sieht, ist eine graue Hand, die einen roten Stein in die Höhe hält. Denn mehr braucht es nicht, um zu starten. Einen Stein.

Anna-Maria Bauer

Über Anna-Maria Bauer

Wienerin und Weltenbummlerin. Leseratte und leidenschaftliche Kinogeherin. Nach Zwischenstopps in London und als Lehrerin in der Wien-Chronik angekommen. Interessiert an Menschen, die bewegen, begeistern oder entsetzen; an ungewöhnlichen Ideen und interessanten Unmöglichkeiten. "Nichts ist verblüffender als die einfache Wahrheit, nichts ist exotischer als unsere Umwelt, nichts ist phantasievoller als die Sachlichkeit." Egon Erwin Kisch: Der rasende Reporter.

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