"Game of Thrones"-Star Peter Dinklage.

Schneewittchen und die gecancelten Zwerge

Der kleinwüchsige Filmstar Peter Dinklage („Game of Thrones“) wirft Disney Doppelbödigkeit vor. Der Entertainmentriesen lenkt ein

Die Märchensammlung der Gebrüder Grimm wirft einen langen Schatten in die Gegenwart: Aktuell streiten sich Politaktivisten von rechts und links im Internet über die Neuverfilmung des Märchens „Schneewittchen und die sieben Zwerge“. Es geht um - die "Zwerge".

Das Original aus 1937.

©WALT DISNEY PICTURES / Mary Evans / picturedesk.com/WALT DISNEY PICTURES/Picturedesk.com

Erster Spielfilm

Der legendäre Walt Disney (1901–1966) hat damit 1937 seinen ersten Zeichentrickfilm in Spielfilmlänge produziert. Er war modernst umgesetzt (mit Tiefeneffekten in den Animationen und Vorbereitungen auf mehrsprachige Textanzeigen) und gilt als wichtigster Trickfilm aller Zeiten. Disney legte damit den Grundstein für sein weiteres Schaffen.

Wer heute an die Märchenfigur denkt, denkt unweigerlich an die Darstellung in dem historischen Hollywood-Hit.Und wie viele Werke des frühen 20. Jahrhunderts würde man ihn heute so nicht mehr drehen.

Aus filmwirtschaftlicher Sicht gibt es aber auch die logische andere Betrachtung: Der Plot ist weltberühmt und wird wie kaum ein Zweiter mit Disney verbunden. Man plante also eine Neuverfilmung, diesmal mit echten Schauspielern.

Hauptrolle im Zentrum

Mit entsprechend viel Fingerspitzengefühl hat Disney, seit damals zum Weltkonzern gewachsen, die Neuverfilmung im Vorjahr angekündigt. Im Zentrum stand ein politischer PR-Coup bei der Besetzung der Hauptrolle: „Schneewittchen“ wird von der Latino-Darstellerin Rachel Zegler verkörpert.

Ein politischer Akt ist das nicht nur ihrer Hautfarbe wegen. Die Schauspielerin und Sängerin hat ihr Schauspieldebüt erst im Vorjahr in der Steven Spielberg-Fassung von „Westside Story“ gegeben und steht als Person dort, wo Republikaner und Trump-Fans rot sehen: Sie unterstützt die Black Lives Matter-Bürgerrechtsbewegung und twitterte einst, man möge die Polizei (die in den USA oft eine problematische Rolle spielt) gänzlich abschaffen.

FILE PHOTO: Rachel Zegler attends the premiere for the film "West Side Story" at El Capitan theatre in Los Angeles, California, U.S.

Das neue "Schneewittchen", Rachel Zegler.

©REUTERS / MARIO ANZUONI

Und...wir?

Soweit, so woke (neuer Kampfausdruck für „politisch korrekt“, Anm.), konnte man meinen, allerdings machte Disney da die Rechnung ohne eine Interessensgruppe, die im Film prominent vorkommt: Die „Zwerge“.

Kleinwüchsige Menschen haben sich spätestens seit der Blockbuster-Serie „Game of Thrones“ von der Kuriosität zur Hauptattraktion entwickelt. „Game of Thrones“-Star-Bösewicht Pete Dinklage hat Achondroplasie (sein Rumpf ist vollständig ausgebildet ist, Arm- und Beinknochen sind jedoch verkürzt sind) und vor allem ein Übermaß an Selbstbewusstsein und Charisma.

Doppelter Boden

Entsprechend groß war das Echo, als der dreifach Emmy-gekrönte Multimillionär in einem amerikanischen Podcast am Montag die Pläne Disneys als doppelbödig kritisierte: Das Studio habe stolz herausgestellt, eine Latina-Schauspielerin als Schneewittchen zu casten und sich damit fortschrittlich zu zeigen – „aber dann machen sie immer noch die verdammt rückständige Story über sieben Zwerge, die zusammen in einer Höhle leben?“, ätzte Dinklage.

Eine Schrecksekunde später lenkte Disney ein und gab am Mittwoch bekannt, die Darstellung der Zwerge mit Vertretern der Kleinwüchsigen-Community zu besprechen, um negative Stereotype zu vermeiden. Ein Goliath beugte vor Dinklage symbolisch das Knie.

Für die amerikanische Rechte (auch sie fühlt sich im notorisch liberalen Hollywood nicht angemessen repräsentiert) ist das ein gefundenes Fressen: Seht her, es reicht nicht, eine Nicht-Weiße als Hauptdarstellerin eines deutschen Märchens zu sehen, war sogleich zu hören. Der rechtspopulistische Blog Breitbart News ging noch weiter: „Disney warf seinen Animationsklassiker von 1937 unter den Woke-Bus“.

Ganz so ist das nicht: Der Film ist seit drei Jahren in Entwicklung. Und wie bei „Alladin“ oder „Mulan“, die in einem orientalischen beziehungsweise asiatischen Setting spielen, gibt es „kulturelle Berater“, die das Studio beraten. Das Thema „Zwerg“ stand demnach schon seit Beginn der Planungen im Fokus.

Philipp Wilhelmer

Über Philipp Wilhelmer

KURIER-Newsroom. Themenchef digital. 2019 Fellow Reuters Institute for the Study of Journalism, University of Oxford.

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