Ein Sohn liebt seine Mutter, kann aber nicht akzeptieren, dass sie auch ein eigenes Leben jenseits der Mutterrolle führt: „The May Lady“

"First Lady“ des iranischen Films: „Natürlich habe ich das nicht akzeptiert“

Das Österreichische Filmmuseum zeigt das Werk von Rakhshan Banietemad. Sie gilt als bedeutendste Regisseurin des iranischen Kinos

Ein Kindergarten in Teheran. Aufgeweckte Buben und Mädchen spielen, streiten, essen und singen. Eine umsichtige Betreuerin schlichtet die Rangelei von drei süßen Bengeln, die sich vorstellen, sie wären Superman. Ein Tag wie jeder andere.

Oder doch nicht? Ein Mädchen namens Elina beginnt herzzerreißend zu weinen. In der Nacht war die Polizei gekommen und hat ihren Vater abgeführt. Die Pädagogin versucht, das verstörte Kind zu beruhigen.

Und plötzlich, beim genaueren Hinhören, merkt man, dass Lärm von der Straße in die abgeschiedenen Räumlichkeiten des Kindergartens eindringt. Es sind die protestierenden Stimmen von Menschen, die nach der Präsidentschaftswahl im Juni 2009 gegen Wahlbetrug demonstrieren und als Grüne Bewegung bekannt werden.

Hinreißende Doku über einen Kindergarten in Teheran während der Proteste der Grünen Bewegung: "See You Tomorrow Elina“

©Österreichisches Filmmuseum

See You Tomorrow Elina“ von Rakhshan Banietemad leuchtet als Juwel dokumentarischer Filmkunst. Ohne den Kindergarten jemals zu verlassen, fängt die Regisseurin einen Moment größter politischer Brisanz iranischer Polit-Geschichte ein: „Mir ging es darum, die Welt dieser Kinder vor dem Hintergrund einer von Unruhe und Aufruhr erschütterten Außenwelt zu zeigen“, meint Rakhshan Banietemad im KURIER-Interview: „Der Verlauf des Films war nicht im Voraus geplant. Die Welt des Dokumentarfilms ist eine Welt von Überraschungen.“

Wenn Elina mit Händen und Füßen erzählt, wie die Polizisten ihren Vater am Ohr reißen, am Kragen packen und verprügeln, dann erreicht Banietemads poetische Erzählkunst maximalen Wirklichkeitsschmerz.

Und politische Wucht.

"First Lady" des iranischen Kinos: Regisseurin Rakhshan Banietemad

 

©Nasim Rohani

Rakhshan Banietemad gilt als die bedeutendste Regisseurin des iranischen Kinos. Geboren 1954 in Teheran, wollte sie Architektin werden – „doch das Kino und seine Kraft, mit Bildern zu kommunizieren, hat mich angezogen.“ Von frühester Jugend an war Banietemad auf soziale Ungerechtigkeit sensibilisiert: „Diese Sensibilität hat mich zum gesellschaftskritischen Film getrieben.“

Sie studiert Film und beginnt kurz nach der iranischen Revolution 1979 Filme für das Staatsfernsehen zu drehen. Sie beschäftigt sich mit sozialen Missständen, häuslicher Gewalt, Drogen und Kriminalität: „Es war eine Zeit der Aufbruchsstimmung“, erinnert sie sich: „Die Zensurbestimmungen für gesellschaftskritische Filme waren noch bedeutend weniger. Jahre später, als die Zeit voranschritt, ohne dass sich die revolutionären Versprechungen erfüllten, wurde es viel schwieriger, Filme zu machen, die sich mit Problemen der Gesellschaft auseinandersetzten.“

Dreiecksbeziehung

"Nargess“ von Rakhshan Banietemad erzählt von einer Dreiecksbeziehung im Diebesmilieu

©Österreichisches Filmmuseum

Der Wechsel vom Fernsehen in die Kinofilmregie erwies sich als schwierig. Zwar arbeiteten viele Frauen im Filmbereich, aber Regie wollte man ihnen nicht zutrauen. Bei Banietemads erstem Spielfilm verlangte der Produzent, dass sie einen männlichen Mitarbeiter engagierte, der ihre Anweisungen an das Team weitergab: „Natürlich habe ich das nicht akzeptiert!“ Auch sonst zeigte sie sich unerschrocken. Ihr Film „Nargess“ , in dem ein Mann zwischen einer älteren und einer jüngeren Frau steht, wurde umgehend zum Meilenstein der iranischen Filmgeschichte. Die komplexe Dreiecksgeschichte spielt im Diebesmilieu vor dem Hintergrund bitterer Armut und zeigte eine provokante Liebesdynamik: „Diesen Film in der damaligen Zeit zu drehen, war sehr riskant“, so die Regisseurin über ihre aufsehenerregende Arbeit, die im Iran nur kurz im Kino laufen durfte.

Herausragendes Drama um eine Fabriksarbeiterin: "Under the Skin of the City"

©Österreichisches Filmmuseum

Die prekäre Position von Frauen innerhalb einer stark patriarchalisch geprägten Gesellschaft beschäftigt Rakhshan Banietemad durchgehend. In ihrem exzellenten Drama „Under the Skin of the City“ erzählt sie von den Nöten einer Fabriksarbeiterin, die ihre Familie ernähren muss. Aber auch in „gehobeneren“ Kreisen stoßen Frauen stark an ihre Grenzen: In „The May Lady“ gerät eine Filmemacherin in Konflikt mit ihrem Sohn, der nicht akzeptieren will, dass seine Mutter einen Geliebten hat.

Anders als etwa ihr prominenter Kollege Asghar Farhadi, der sowohl in- als auch außerhalb des Irans Filme dreht, kann sich Rakhshan Banietemad keine Regie im Ausland vorstellen: „Bisher habe ich alle meine Filme im Iran gemacht und ziehe es vor, dass es auch so bleibt.“

Fakten

Rakhshan
Die iranische Filmregisseurin und  Drehbuchautorin Rakhshan Banietemad wurde 1954 in Teheran geboren und gilt als bedeutendste Filmemacherin der Landes

Banietemad
Sie startete mit TV-Dokus beim Staatsfernsehen, dann folgten Kinofilme wie  „Nargess“ (1991) oder das preisgekrönte Drama „Under the Skin of the City“ (2000)  

Im Filmmuseum
Das Österreichische Filmmuseum zeigt bis 28. Februar die Filme von Rakhshan Banietemad. Leider musste die  Regisseurin  ihren Wien-Besuch absagen 

Alexandra Seibel

Über Alexandra Seibel

Alexandra Seibel schreibt über Film, wenn sie nicht gerade im Kino sitzt.

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