Punkrock-Band Kraftklub: Aufgewachsen mit der "Naturgewalt" Nazis

Felix Kummer und Steffen Thiede erzählen, wie sich Konfrontationen mit Rechten auf ihr neues Album "Kargo" ausgewirkt haben

Herr Kummer, Sie waren jetzt lange solo unterwegs, sagen aber, Sie haben die Freunde von Kraftklub dabei vermisst. Was haben Sie an der Band am meisten vermisst?

Felix Kummer: Unser erstes Konzert, das wir nach meiner Solo-Tour wieder als Kraftklub gespielt haben, war in Leipzig auf einem Fußweg – ohne Konfettiregen, ohne Licht, ohne Absperrungen, ganz ursprünglich. Da habe ich gemerkt, dass es diese Ursprünglichkeit ist, die ich vermisst habe. Dass man mit ein paar Leuten ganz archaisch irgendwo draufhaut und es entsteht eine Energie, zu der Leute tanzen. Das ist magisch.

Steffen Thiede: Ich stell mir vor, dass auch mitspielt, dass man diese Momente teilen kann. Man ist aufgeregt, sieht sich an und denkt, das ist geil!

Felix Kummer: Ja, das war auch ein großer Punkt. Mir fehlten die anderen auch vor und nach dem Konzert. Wenn man danach sagt, hey das war cool, oder auch, das war nicht so toll. Man ist alleine, hat niemand zum Anstoßen und Party machen, trinkt Wasser und sagt, na gut, okay.

Der Titel „Kargo“ bedeutet Fracht, ich sehe darin aber keinen Zusammenhang mit den Inhalten der Songs . . .

Felix Kummer: Wir haben uns mehrere Erklärungen für den Titel überlegt. Die schönste stammt aber von einem Journalisten und nicht von uns. Der erzählte uns vom Cargo-Kult auf Pazifikinseln. Dort hatten die Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg Militärbasen eingerichtet, und die Eingeborenen hielten die Amerikaner für Götter. Als die Amerikaner wieder weg waren, haben die Eingeborenen Attrappen von Flugzeugen gebaut, um die Götter wieder zurückzuholen. Und der Journalist meinte, das könnte eine Analogie zum Ost/West-Konflikt in Deutschland sein, der 30 Jahre nach der Wende immer noch zu spüren ist und in manchen Songs behandelt wird.

„Wittenberg ist nicht Paris“ wäre einer dieser Songs, richtig?

Felix Kummer: Genau. Wir sind jetzt alle Anfang 30 und viele unserer Freunde haben aufgehört zu studieren. Sie gehen in das echte Erwachsenenleben, haben Kinder, suchen nach Wohnungen und Jobs. Da merkt man auf einmal, dass sich dieses „Wir sind alle gleich“-Gefühl, das man bisher hatte, in Luft auflöst, weil es doch einen Unterschied macht, ob man eine ost- oder westdeutsche Biografie hat. Nämlich in Bezug darauf, was Vermögensaufbau der Eltern angeht, Erbschaften, Eigentumswohnungen. Das hatte bisher keine Rolle gespielt, wird aber jetzt wichtig und stellt eine Ungleichheit in unserem Bekannten- und Freundeskreis her. Und die liegt nicht daran, dass wir uns zueinander anders verhalten, sondern an der Biografie unserer Eltern.

Ich hatte gelesen, dass es bei dem Song auch um das Desinteresse der Jugend an Politik geht, habe das selbst aber nicht rausgehört.

Felix Kummer: Ich würde diese Aussage auch nicht unterschreiben, denn die heutige Jugend ist wesentlich politischer, als ich es mit 16 war.

Steffen Thiede: Die Jungen heute sind wesentlich engagierter und setzen sich viel mehr mit politischen Themen auseinander. Das liegt vermutlich an den Zeiten heute, die das forcieren.

Meinen Sie, es war bei Ihnen noch nicht notwendig politisch zu sein, weil vieles gut gelaufen ist?

Felix Kummer: Das hoffen wir jetzt mal, weil das eine gute Ausrede für uns ist.

Musikalisch sind Sie diesmal nicht mehr so durchgehend zornig, und die Songs sind stilistisch etwas breiter geworden. War das ein Ziel beim Songschreiben?

Steffen Thiede: Wir haben vorher nicht beschlossen, dass wir in diese Richtung gehen wollen, sondern haben Songs geschrieben, die aus dem Gefühl kamen. Wir hören alle verschiedenste Arten von Musik und hatten früher auch viel mehr Energie, die wir loswerden wollten. Jetzt können wir auch ein bisschen gelassener sein.

Im Song „Teil dieser Band“ schwingt ein bisschen mit, dass Sie ein schlechtes Gewissen haben, dass sie so erfolgreich sind. Glauben Sie, Sie haben sich das nicht verdient?

Felix Kummer: Na ja, wir proben in Chemnitz in einer ehemaligen Schule, wo ganz viele andere Bands auch ihre Proberäume haben. Die sind alle nicht schlechter und haben nicht weniger geprobt als wir. Es gibt keine faire Erklärung dafür, dass die nicht von der Musik leben können. Wir wundern uns auch zwölf Jahre nach Bandbeginn noch stetig darüber, dass wir diesen Beruf ausüben können. Und gerade, wenn wir über die Schwelle zum Erwachsenwerden reden und die Leute um uns herum im Erwerbsdruck sehen, wird es uns noch viel bewusster, was es für ein Privileg ist, dass wir dieses Musikerleben leben können.

Gab es einen bestimmten Auslöser für den Song „Angst“, oder ist es eher die zur Zeit herrschende allgemeine Stimmung?

Felix Kummer: Bei uns in Chemnitz gab es ein Tötungsdelikt und fremdenfeindliche Ausschreitungen, die dazu führten, dass wir 2018 das „Wir sind mehr“-Konzert initiiert haben. Diese Figur, die ich in dem Song beschreibe und karikiere, ist eine Kollage aus Figuren, die einem in verschiedenen Bereichen des Lebens über den Weg laufen. Es geht nicht nur um Rassismus. Diesen Typ Mann, der Angst vor Veränderung hat und sich mit Gewalt an das Gestern klammert, triff man auch auf Debatten über Klima-Aktivismus und über Feminismus. Dieses angeblich tolle Gestern gab es möglicherweise nie, aber die Anhaftung daran wird immer stärker und doller, und aus dieser Spannung entsteht Gewalt.

Karikieren Sie in „Kein Gott, kein Staat, nur du“ Anarchisten, oder ist das keine Karikatur?

Steffen Thiede: Also ich kann mich mit diesem Typen schon gut identifizieren.

Felix Kummer: Ich würde gerne offenlassen, ob das eine Karikatur ist. Aber ich würde auch sagen, dass die katholische Kirche in den letzten Jahren schon viel dafür getan hat, dass man sich mit dieser These kritisch auseinandersetzten kann.

Sie haben „Fahr mit mir“ mit Tokio Hotel aufgenommen, mit einer Band, die man mit Ihrem Musikstil nicht so schnell zusammenbringen würde.

Felix Kummer: Wir sind zwar musikalisch auseinander, biografisch aber ziemlich nah beieinander. Wir sind ungefähr gleich alt und kommen auch beide aus einer ähnlichen Gegend in Ostdeutschland. Der einzige biografischer Unterschied ist, dass Tokio Hotel mit 16 Weltstars wurden und wir nicht.

Steffen Thiede: Wir haben viele ähnlich Erfahrungen. Erfahrungen, die man macht, wenn man als Linker oder etwas extravaganter aussehend in bestimmten Gegenden im Osten rumläuft, wo viele das nicht gut finden.

Sie waren vom Aussehen her weniger exponiert als Tokio Hotel. Welche Erfahrungen  haben Sie denn in Chemnitz, einer von der rechten Szene geprägten Stadt, gemacht? Sind sie von Nazis angegriffen worden?

Steffen Thiede: Es hat ja schon gereicht, wenn man nur ein Skatebord in der Hand oder die Hosen weiter unten hatte, dass die sich uns vorgeknöpft und mitunter auch verprügelt haben.

Felix Kummer: Dass wir zwei Weißbrote drangekommen sind, lag wohl auch daran, dass es in der Gegend ja gar nicht so viele Zuwanderer gab, die die Rechten angreifen konnten.

Steffen Thiede:  Es gab schon auch Zuwanderer, aber man will sich gar nicht vorstellen, wie es denen gegangen ist, wenn es schon uns so ergangen ist.

Felix Kummer: Die frühen 2000er-Jahre waren schon ungemütlich. Die Nazis hatten Kampfsport gemacht, waren auch vier oder fünf Jahre älter als wir, also haben wir das Wegrennen sehr gut gelernt.

Haben Sie sich überlegt, von Chemnitz wegzuziehen, wenn es so ungemütlich war?

Felix Kummer: Das überlegen wir uns immer wieder.

Steffen Thiede: Aber damals ging das ja auch gar nicht, wir waren Teenager und in der Schule.

Felix Kummer: Was mich am meisten daran irritiert, wenn ich jetzt darüber rede, ist, dass ich das damals gar nicht so bedrohlich wahrgenommen habe. Das war für mich eher wie so eine Art Naturgewalt. Die Nazis gehörten einfach dazu. Diese Gefahr war wie: Du musst aufpassen, dass du nicht von einer Straßenbahn überfahren wirst. Du musstest eben aufpassen, dass dir nicht 15 Nazis entgegenkommen. Erst jetzt im Nachhinein denke ich, das war schon Scheiße. Das ist der Grund, warum wir so eine Sympathie für die Antifa habenIm Osten in Gegenden, wo man sich nicht darauf verlassen konnte, dass einem die Polizei zur Seite steht, waren die die Einzigen, die da dagegen gehalten haben.

Ist diese Situation jetzt besser geworden?

Felix Kummer: Besser würde ich nicht sagen. Viele sind vielleicht in den Knast gegangen oder älter geworden.

Steffen Thiede: Es gab vor kurzem wieder Vorfälle, wo nach einer Demo jüngere Gruppen von Faschos aufgesucht und vermöbelt wurden. Wir sind jetzt älter und kommen vielleicht nicht mehr als Opfer in Frage. Und ich glaube, die Nazis agieren jetzt viel struktureller und nicht so offen auf der Straße.

Felix Kummer: Es sickert jetzt auch in die Mitte der Gesellschaft hinein, was der Song „Angst“ beschreibt. Und „Vierter September“ beschreibt den Tag nach dem „Wir sind mehr“-Konzert. Beim Konzert war schon so eine spezielle, gute Energie in unserer Stadt, wo man dachte, es bewegt sich was. Es war wichtig, dass wir das gemacht haben, aber am Tag danach hatten wir so eine Art mentalen Kater und waren völlig desillusioniert, weil wir wieder mit der Realität konfrontiert waren, dass sich eigentlich nichts geändert hat. Die Probleme waren mit diesem Konzert nicht weg. Deshalb auch der Satz: „Wir sind nicht mehr, aber wir sind nicht alleine“. Das ist eigentlich die wichtigste Botschaft: Denn gerade in Sachsen sind wir nämlich sicher nicht mehr. Dieser Illusion braucht man sich nicht hingeben. Aber wir sind eben nicht alleine. Und das ist schon sehr wichtig.

Brigitte Schokarth

Über Brigitte Schokarth

Brigitte Schokarth kennt die Rock/Pop/Indie-Welt in allen Aspekten, pendelt für Konzerte zwischen Flex und Stadthalle, für Interviews zwischen Berlin, London und New York. Sie spricht genauso gern mit Robbie Williams und Pink wie mit Amanda Palmer und James Blake und spürt in den Clubs der Musikmetropolen Trends und Newcomer auf.

Kommentare