Neues Album von Taylor Swift: Wenn es am Strand schneit

"Midnights", die neue Platte von Taylor Swift, ist zwar nur Mittelklasse, bricht aber trotzdem Rekorde. Neues gibt es auch von Phoenix. Und Die Nerven liefern das Album zur Krisenzeit.

Seit ihrem 2014 vorgelegten Album „1989“ und dem darauf zu hörenden Wandel vom konservativen All-American-Country-Girl zum gutbürgerlichen Pop-It-Girl war Taylor Swift stilistisch stets im Fluss. Sanfter Indie-Folk („Folklore“), gefälliger Naturkosmetik-Lagerfeuer-Pop auf „Evermore“. Und nicht zu vergessen, das mit EDM-Clubsounds angereichte „Reputation“. Auf jedem ihrer letzten Studioalben hat sich die Singer-Songwriterin jenen kreativen Spielraum gegönnt, um eine andere klangliche und visuelle Ästhetik auszuprobieren. So etwas kann man sich als Schwerverdiener auch leisten. Denn die in Reading, Pennsylvania, in eine Mittelschichtfamilie hineingeborene Sängerin ist seit Jahren eine der erfolgreichsten Musikerinnen. Ein Megapopstar, der bei den American Music Awards jährlich abräumt und bereits zig Millionen Tonträger verkauft hat.

©Universal Music

America first

Bei all dem Erfolg ist sie in Europa aber immer noch eine Art Mythos, eine Wunschvorstellung. Denn Swift überquert nur ungern den Atlantik, zeigt sich selten in Europa. Daran wird sich wohl auch 2023 nichts ändern, obwohl sie soeben ihre neue Stadien-Tour angekündigt hat. Dafür verlässt sie ihre Heimat erstmal nicht – Termine außerhalb der Vereinigten Staaten sollen aber nachgereicht werden. Erhältlich ist hingegen bereits das neue Album von Swift, mit dem die 32-Jährige seit der Veröffentlichung Rekorde bricht: Sie ist die erste Musikerin in der 64-jährigen Geschichte der US-Billboard-Charts, die zeitgleich die ersten zehn Plätze belegte. Das ist sensationell. Und irgendwie auch erstaunlich. Denn „Midnights“ ist keineswegs ein herausragendes Album. Eher Mittelklasse. Also solide gemacht. Alles da, was man braucht. Aber irgendwas fehlt. Vielleicht ist es der Überraschungsmoment.

Das Album ist eine gut abgeschmeckte musikalische Zusammenführung ihres vielfältigen Outputs der vergangenen Jahre. Dabei fallen auch ein paar wirklich gute Songs ab. Das bemerkenswerteste Beispiel dafür ist „Snow on the Beach“, dessen stimmige Kombination aus Streichern, pluckernden Synthesizern, Glockenspiel und stark verhalltem Bass den ersten Schneefall eines frühen Wintermorgens wunderbar heraufbeschwört. Ein Gefühl, das Swift im luftigen Refrain des Songs treffend als „weird but fucking beautiful“ beschreibt und dabei mit Lana Del Rey harmoniert, deren geisterhafter Gesang im Soundmix des Songs nur minimal zu hören ist. Der Rest der 13 neuen Songs ist eine Mischung aus allem und nichts, angereichert mit in Hall ertränkten und einem etwas zu verträumten New-Wave-Sound der Achtziger. Oder mit den Worten von Taylor Swift: „Midnights ist eine Collage aus Intensität, Höhen und Tiefen, Ebbe und Flut. Das Leben kann dunkel, sternenklar, wolkig, erschreckend, elektrisierend, heiß, kalt, romantisch oder einsam sein.“ Klingt wie ein Kalenderspruch von Paulo Coelho.

Dance und Depression

Phoenix: „Alpha Zulu“. Zu der neuen und erneut in der Tradition des French Pop stehenden Platte der vier Franzosen lässt es sich vorzüglich (aber auch nicht ganz sorglos) tanzen. 

©Glassnote/Warner

Plattenwechsel. Nun läuft „Alpha Zulu“ der Indie-Dance-Pop-Band Phoenix. Auf diesem präsentieren sich die vier Franzosen rund um Sänger und Mastermind Thomas Mars nachdenklicher als sonst. Die Leichtfüßigkeit und der Spaß bleiben dabei aber keineswegs auf der Strecke. Es geht in den zehn neuen Songs via Überholspur auf die Tanzfläche. Die Musik speist sich aus einer Palette von Synthesizern, Keyboards und anderen elektronischen Klangerzeugern und steht dem Feel-Good-Sound von Daft Punk um nichts nach. Songs wie „Tonight“ oder das grandiose „Identical“ erinnern an „Lisztomania“ oder „1901“ von ihrem zeitlos schönen Album „Wolfgang Amadeus Phoenix“ (2009).

Die Nerven: „Die Nerven“.  In den neuen Songs widmet sich das Trio der bürgerlichen Selbstgerechtigkeit, der sich selbst belügenden Instagram-TikTok-Blase.

©Glitterhouse/Indigo

Die 2010 im deutschen Esslingen gegründeten Band Die Nerven kommentieren auf ihrem selbstbetiteltem Album u. a. den Zusammenbruch des Elfenbeinturms namens Europa, die gegenwärtige Beklemmung, das aktuelle Influancer-Zeitalter durchaus klug wie pointiert: „Der Tod läuft nicht gut auf Instagram“ heißt es da etwa. Dazu gibt es düstere, wütende Gitarrensounds, angetrieben von einem grummelnden Bass und einem wuchtigen Schlagzeug. Jeder Song ein Treffer.

Marco Weise

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