Netrebko-Auftritt in Wien: Ganz viel Jubel - und einige Buhs

Saisonauftakt in der Staatsoper mit Anna Netrebko als Mimì in "La bohème".

Vor der Aufführung protestierten etwa drei Dutzend Menschen vor der Staatsoper und hielten Fotos hoch, unter anderem solche, auf denen Anna Netrebko mit Putin zu sehen ist. Ebensoviele Polizisten standen daneben.

In der Aufführung selbst überwog eindeutig die Begeisterung, dass die größte Sopranistin der vergangenen Jahre wieder in Wien zu hören ist – gleich zum Saisonauftakt als Mimì in Puccinis „La bohème“. Wobei tatsächlich – ein völliges Novum bei Auftritten von Netrebko in Wien – auch im Haus zahlreiche Buhs zu hören waren.

Als Netrebko zum ersten Mal die Bühne betrat, gab es Szenenapplaus von einem Großteil des Auditoriums – aber auch einige Proteste. Und am Ende, als sie sich alleine zum Schlussapplaus zeigte, dominierten wieder die Bravi, die Buhs waren aber klar zu hören. Offenbar hatten sich einige Besucher schon in der Absicht, gegen Netrebkos (Nicht-)Haltung gegenüber dem Krieg in der Ukraine zu protestieren, Karten gekauft. Dabei hatte Netrebko nach anfänglicher Verweigerung Ende März von „Krieg“ gesprochen, was in Russland gar nicht gern gehört wird und prompt zu Auftrittsverboten in dortigen Theatern geführt hatte.

In vielen Phasen göttlich

Nun also ihr erster Abend seither an der Wiener Staatsoper – und ihr bisher wichtigster seit dem Einmarsch Russlands. Und Netrebko tat, was sie um so viel besser kann als Interviews zu geben oder sich politisch zu äußern: Sie sang. Und zwar in vielen Phasen göttlich.

Man kann freilich darüber diskutieren, ob es klug ist, sie gleich zu Saisonbeginn auftreten zu lassen (der Autor dieser Zeilen findet ja, damit die Luft, also das Buh, gleich am Anfang raus ist). Ihre Leistung zu bebuhen, ist jedoch absurd.

Netrebko sang, als ginge es um ihr Leben, als stünde ihre Karriere auf dem Spiel (was sie ja irgendwie auch tat). Sie agierte bescheiden, geradezu demütig, zurückhaltend, stets im Dienste des Werkes, nie als Selbstzweck.  Ihre Stimme ist  schon recht schwer für diese Partie, das Timbre sehr dunkel. Dennoch stirbt keine so schön wie sie.

Der Rodolfo an ihrer Seite hingegen, Vittorio Grigolo, sang ebenfalls gut, agierte jedoch, als ginge es um ihn. Fabelhaft dirigierte Bertrand de Billy das Staatsopernorchester – mit Mut zum Pathos, zum großen Klang,  zur Emotion,  dramaturgisch stets überzeugend. Der Rest der Besetzung war durchwachsen.

Am besten Günther Groissböck als Colline, am schwächsten Nina Minasyan als Musetta.

Was jedenfalls bleibt, ist die Erkenntnis: Netrebko wird nie ein politischer Kopf, ist aber weiterhin eine große Sängerin. Im Idealfall nimmt sie die Demut mit in die Zukunft, zu Proben und zu Aufführungen.

Gert Korentschnig

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