"Lohengrin" in Salzburg: Der Schwanenritter vom Wienfluss
Die letzte Produktion mit Christian Thielemann als künstlerischem Leiter der Osterfestspiele - die Kritik
Und wieder endet eine Epoche bei den Salzburger Osterfestspielen, die 1967 von Herbert von Karajan (nicht zuletzt für sich selbst) gegründet wurden. Erst Karajan als Chef, dann Claudio Abbado, dann Simon Rattle, immer jedoch die Berliner Philharmoniker – bis diese im Zuge eines Finanzskandals nach Baden-Baden abwandern mussten. So steuerte das Luxusfestival auf seinen Untergang zu.
Retter in der Not, fast so wie „Lohengrin“ für Elsa, war Christian Thielemann mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden, seit 2013 wurde er vom Publikum gefeiert wie der Schwanenritter in Brabant. Nun muss allerdings auch er „von euch ziehn“, wie es im „Lohengrin“ heißt, ab 2023 ist Nikolaus Bachler alleinverantwortlich.
Zum Abschied hat Thielemann nach langen Debatten „Lohengrin“ als Neuproduktion durchgesetzt – eine kühne Wahl, wenn man sich erinnert, wie phänomenal seine Interpretation 2016 in Dresden mit dem Wagner-Debüt von Anna Netrebko als Elsa und Piotr Beczala in der Titelpartie glückte (in der klassischen Regie von Christine Mielitz). Gleich vorweg der sich aufdrängende Vergleich: Die Salzburger Produktion kommt da nicht heran.
Die Musik
Thielemanns Dirigat ist zwar wieder höchst emotional, kraftvoll, elegant, fein differenziert, von den zarten Pianissimi in der Ouvertüre bis zu den mächtigen Chorszenen. Die Staatskapelle erwischte aber bei der Premiere bezüglich Klang und Präzision nicht ihren allerbesten Tag. Auch der riesige Chor (Sächsischer Staatsopernchor, Bachchor Salzburg, Chor des Salzburger Landestheaters) agierte nicht auf der Höhe seiner Möglichkeiten. Aber Luft nach oben gibt es auch bei den Solisten.
Die Sänger
Eric Cutler verfügt als Lohengrin über eine schöne heldische Höhe. Wenn er nicht forciert, klingt er recht wackelig, seine Intonation ist nicht immer präzise, das Timbre gewöhnungsbedürftig. Jacquelyn Wagner sieht als Elsa von Brabant ähnlich aus wie Nicole Kidman als Lucille Ball – und singt bestimmt besser. Feiner, klarer, gut geführter Sopran, aber zu kraftlos fürs Große Festspielhaus. Martin Gantner ist ein Telramund mit schönem Bariton, aber zu wenig dramatisch. Die größten (und rollendeckenden) Stimmen haben Hans-Peter König als wortdeutlicher König Heinrich und Elena Pankratova als famose Ortrud.
Die Regie
Die Inszenierung von Jossi Wieler, Anna Viebrock und Sergio Morabito, die man auch an der Wiener Staatsoper sehen wird (es handelt sich um eine Koproduktion), ist in jeder Hinsicht seltsam.
Seltsam, weil sie die Geschichte auf den Kopf zu stellen versucht. Diesmal ist Elsa die Mörderin ihres Bruders Gottfried, der am Ende wie ein Untoter aus „The Walking Dead“ aus dem Wasser kriecht. Bei ihrer Tat wird sie von Ortrud beobachtet, was dazu führt, dass diese und Telramund plötzlich zu den Guten werden. Man muss sich bemühen, das aus dem Libretto und vor allem aus der Partitur herauszulesen.
Seltsam ist die historische Inkonsequenz. Einige Choristen sehen aus wie Soldaten von Kaiser Wilhelm II., andere wie englische Lords, manche kommen aus der Gegenwart. Ach ja, das Thema betrifft alle Zeiten, heißt es dann zumeist.
Besonders seltsam ist die Figur des Lohengrin, der als Kreuzritter mittels Zeitmaschine vermutlich knapp vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges landet. Er bewegt sich wie ein Schlurf, fährt sich andauernd durch die langen Haare, wirkt wie eine Parodie auf einen Ritter und wie ein Vollloser – ist ja auch schwer, wenn man so einen berühmten Vater (Parsifal, Anm.) hat.
Erstaunlich unspektakulär kommt Lohengrin auf die Bühne, nämlich durch einen Tunnel. Dass es keinen Schwan gibt, ist ja schon state of the art. Dass die Bühne türkis wird, wenn der neue Führer auftritt – naja, gab’s auch schon. Wie ihm das Volk dann unhinterfragt huldigt, wird schön entlarvt.
Das Bühnenbild
Am seltsamsten ist jedoch das Bühnenbild, für Wiener eindeutig als Rückhaltebecken bei Hütteldorf erkennbar – ein Bau zur Regulierung des Wienflusses. Sogar die Graffiti wurden übernommen. Da hätte man ja gleich St. Hanappi als Kultstätte nehmen können, wäre ebenso plausibel gewesen.
Die Personenführung ist gut, leider werden die musikalisch schönsten Momente (etwa das „Gesegnet soll sie schreiten“) nur ironisiert.
Der „Lohengrin“, der so märchenhaft einfach wirkt, zählt definitiv zu den am schwierigsten zu realisierenden Werken, musikalisch, sängerisch, inhaltlich. Quod erat demonstrandum.
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