Lifestyle: Living next door to Janis

Sie destillieren die Energie des Ortes und lassen diese in Bilder, Performances oder Musikstücke einfließen – schon seit Claude Monet verwirklichen sich Künstler gerne in Hotels. "Artist in Residence“-Programme sind die zeitgemäße Interpretation.

Vorletzte Jahrhundertwende, "Savoy“ London. Impressionist Claude Monet malte, was er von seinem Hotelfenster aus sah. Die Themse mit ihren Brücken sind heute weltberühmte Gemälde. Lange wurde gemutmaßt, zu welchen Zimmernummern die Perspektive passt. 2010 brachte dann die Solar Geometrie Gewissheit. Auch wenn das "Savoy“ mittlerweile umgebaut wurde: Es gibt eine "Personality Suite“, die unter anderem dem Maler gewidmet ist. Wesentlich turbulenter ging es dagegen im "Chelsea“ in New York City zu. Janis Joplin, Patti Smith, Jimmy Hendrix sind nur drei Namen auf der Liste "bemerkenswerter Bewohner“, die sich heute auf der Webseite des Hotels findet. Man kann sich gut vorstellen, dass  da schon etwas andere Töne angeschlagen wurden als im Londoner Savoy. In einer Dokumentation aus dem Jahr 2022 ("Dreaming Walls“) spricht eine Bewohnerin von der "Energie, die in diesem Gebäude steckt“. Genau darum geht es. Hotels sind atmosphärisch verdichtete Orte, die vom Ankommen und Abreisen erzählen – und von allem dazwischen. Wege kreuzen sich. Für Sekunden, Stunden, Tage oder Wochen. Das macht was mit einem – und mit den Kreativen dieser Welt vielleicht noch ein bisschen mehr. 

"Artist in Residence“-Programme nehmen exakt diese Idee auf. Künstlern wird freie Kost und Logis geboten, dafür, dass sie im Hotel etwas schaffen und die Hotelgäste davon profitieren. Sei es durch eine Performance, eine Ausstellung, einen Workshop oder ein Kunstwerk, das im Hotelgang verbleibt. Oftmals bieten die Hotels "Open Studio“-Tage an, an denen ein Get-together möglich ist. Oder man kann  gleich eine "Experience“ mit den Künstlern buchen. Im Ritz-Carlton in Toronto wäre das etwa ein Workshop mit Jacqueline Poirier, die schon George Clooney mit seinem handgepinselten Konterfrei auf dem Porzellanteller überraschte und deren Instagram-Account "Thecrazyplatelady“ 85.000 Follower zählt.

Berühmte Hotels

Es sind vor allem die Großen der Branche, wie das Ritz-Carlton und das Sofitel, die sich die illustren Mitbewohner etwas kosten lassen. Und die Boutique-Hotels, wie das "Ace Hotel New York City“ (Neustart nach Pandemie-Pause) oder das "25hours Hotel“ in Zürich. Prinzipiell ist ein "gekommen um zu bleiben“ für die Künstler fast überall möglich – von Grenada bis Thailand. Was man fairerweise sagen muss: Die Hotels sind heutzutage oft bekannter als die Künstler. Aber das ist  wenig verwunderlich. In den Pre-Internet-Zeiten konnten sich Warhol und seine Musen vor und nach dem Filmdreh im „Chelsea“ noch recht leicht vor Paparazzi verstecken. Lady Gaga als "Artist in Residence“ im "Ace Hotel“? Das würde wohl ausarten. "Wir hatten schon Schriftsteller, Street-Art-Künstler, eine Band – und eine Schlaf-Performance-Künstlerin“, lacht Jessica Boladz, Brand Managerin vom Hotel "Superbude“ am Wiener Prater. 

The Ritz-Carlton in Toronto beherbergt Resident Artist Jacqueline Poirier. Hotelgäste können mit Poirier Teller bemalen – und eventuell Wein trinken

©The Ritz-Carlton Toronto

Diesen Sommer zu Gast in der Wiener "Superbude“: Julie Beugin, die mit der Technik Collage arbeitet 

©Carleen Coulter

Die Marke "Superbude“ stammt aus Deutschland, ist seit zwei Jahren in Wien und genauso lang läuft das Residence-Programm. "Das Atelier, in das die Künstler für bis zu vier Wochen einziehen können, ist mit 60 m² die größte Suite im Hotel und hat einen umwerfenden Blick auf den Prater.“ Das Ziel, dass man laut Boladz damit verfolgt: Das Hotel soll nie fertig werden, es soll sich stetig weiterentwickeln, von verschiedenen Blickwinkeln betrachtet und kreativen Interventionen geleitet werden. "Wir sehen uns als Begegnungsort, kreativen Raum und Kulturstätte.“

Andy Warhol (re.) im Restaurant des Chelsea in NYC. Er und unzählige andere Freigeister seiner Zeit machten das Hotel zum Kult. Und zum Arbeitsplatz

©david mccabe

Das Amsterdamer Hotel "Conservatorium“ zeigt in der Bastiaan Woudt Suite Schwarz-Weiß-Bilder, die der Fotograf von Hotelgästen geschossen hat
 

©bastiaan woudt

Ein Kommen und Gehen

Die Künstler – und die sie umgebende Aura – pushen die Marke, insbesondere von Hotels, die auf eine starke Vernetzung mit der Community setzen. Diese Locals machen sich  gut auf dem Instagram-Feed des Hotels und locken Übernachtungsgäste an. Immer öfter liest man sogar von "immersiven Erlebnissen“, einer Begrifflichkeit, die man bisher nur von Klimt- und Kahlo-Ausstellungen kannte. Klar ist: Hotels dieser Façon werden immer mehr zu einer Art Perpetuum mobile. Einmal in Gang gesetzt, sorgt das Kommen und Gehen der Hotelvagabunden für einen Vibe, der sich im besten Fall selbst erhält. Eine, die das Mobile anstupst: Julie Beugin, "Superbude“-Artist in Residence. Die Austro-Kanadierin mit Wohnsitz in Berlin setzt in ihrer Arbeit auf Collagen und erkundete hierfür in Wien Details der Stadt, die sonst leicht übersehen werden. Auf Instagram zeigte sich die Künstlerin nach den ersten Tagen euphorisiert. Sie genieße "das wärmere Licht und die subtilen Differenzen der Formen, Farben und Texturen in Wien“, verglichen mit den Fotos, die sie in Berlin mache. Beugin spricht von der "ungestörten Zeit“, die sie habe, um sich auf die Kunst zu konzentrieren. Das hat dann schon wieder fast etwas von Monet, damals im Savoy.

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