"Weißes Rauschen" auf Netflix: Zynische Gesellschaftssatire mit Adam Driver

Die Verfilmung eines Bestsellers von Don DeLillo, ab Freitag auf Netflix.

von Gabriele Flossmann

Entstanden ist dieser Film nach der gleichnamigen Gesellschaftssatire des amerikanischen Autors Don DeLillo. Noah Baumbach bringt den in den 1980er-Jahren weltweit gefeierten Bestseller in die Gegenwart – und ins Kino. Er durchbricht seine Aneinanderreihung von Absurditäten, Horrorvisionen und Wahnsinnstaten in den USA immer wieder mit atemberaubender Action.

Wie etwa mit dem grandios in Szene gesetzten Zugunglück, das eine Umweltkatastrophe und in der Folge eine Massenpanik auslöst. Zudem geht’s um sogenannte Alltagsthemen wie Ernährung, Diversität, Gleichstellung, ausgedehnte Shoppingtouren, berufliche und eheliche Probleme – und Seitensprünge. Baumbachs Film (englischer Titel: "White Noise") ist wie DeLillos Roman eine hochstilisierte, absurde Satire auf Konsum und Massenmedien, die es auch schafft, die Wissenschaft ebenso durch den Kakao zu ziehen, wie das, was wir heute unter „Familienleben“ verstehen.

Der Supermarkt fungiert im Film als eine Art bonbonfarbener Tempel, in dem man dem Mammon huldigen kann. Im Mittelpunkt der Handlung steht eine amerikanische „Durchschnittsfamilie“. Deren „Oberhaupt“ ist der College-Professor Jack Gladney mit dem Fachgebiet Geschichte.

Hitler-Spezialist

Aber vor allem ist Gladney ein Spezialist für Nazideutschland und Adolf Hitler. Weshalb er seine Umgebung immer wieder mit Vergleichen zwischen den USA und dem „Dritten Reich“ nervt. Er lebt mit seiner vierten Frau Babette und vier Kindern aus ihren insgesamt sechs früheren Ehen ein angenehmes Leben in einem Vorort des Mittleren Westens. Dieser Komfort wird durch eine bedrohliche Wolke – oder ein toxisches Ereignis in der Luft, wie es im Film genannt wird – auf den Kopf gestellt. In einem seiner Vorträge über Hitler enthüllt er ganz nebenbei auch seine Faszination für den Tod. Er deutet Autounfälle als Zeichen des Optimismus. Man müsse nur an dem Blut und splitterndem Glas vorbeisehen, dann würde man sehen, dass danach Neues entstehen kann – ein Phönix aus Scherben, statt aus Asche. So weit, so – ja was eigentlich? Der Professor sieht auch seine Hitler-Forschung unter diesem Aspekt. Der alte Adolf ist für ihn ein Pop-Phänomen wie Elvis.

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Konsumgesellschaft

Die Ekstasen der Konsumgesellschaft sieht der Gladney als letzten Trost in der Allgegenwart des Todes. Seine Frau Babette erträgt diese Sichtweise nur nach dem Schlucken von Psychopillen. Und um an diese heranzukommen, betrügt sie ihren Mann. Die Familie – so die Diagnose von Baumbachs DeLillo-Verfilmung – ist die Keimzelle aller Lügen. Aber die Gladneys hören einander sowieso nicht zu, weil sie ständig durcheinander sprechen. Das Geschnatter verbindet sich mit dem unaufhörlichen Dröhnen von Fernsehen und Radio zu einer Kakofonie, die manchmal zu einer Symphonie wird. Zu einem Weissen Rauschen. Ein Schneegestöber aus dem Jenseits, ein Störsender unserer zwischenmenschlichen Konversation. Der Tanz auf dem Konsumvulkan der vollen Supermarktregale hat die Religion abgelöst. Was Lars Eidinger am Ende einen eindrucksvollen Auftritt beschert. Baumbach versucht, diesem Irrsinn gerecht zu werden. Über weite Strecken gelingt ihm das – fast.

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