So ist Thomas Maurers neues Programm: "Es ist ja alles nur mehr pervers“

Maurer gelingt mit seinem Solo „Zeitgenosse aus Leidenschaft“ eine geistreiche Zeitdiagnose zwischen Azteken, Jeff Bezos und salonlinker Bobo-Sozialkritik

Seit die ganz Dummen Fakten mit der eigenen Meinung verwechseln und den Rest der Welt in Geiselhaft halten, hat als letzte Rückzugslinie der Zuckergoscherl-Nihilismus Hochsaison.

In zachen Zeiten, wenn der Schwachsinn epidemisch durchs Land kickelt, werden Sarkasmus und Zynismus zur Würze der Debatte und zur Notwehr gegen die Zumutungen menschlichen Verhaltens. An Sarkasmus und Zynismus kaum zu überbieten ist auch „Zeitgenosse aus Leidenschaft“.

Das nach „Woswasi“ neue Solo von Thomas Maurer hatte Dienstag im Stadtsaal Wien Premiere: eine scharfe und brillante Zeitdiagnose mit gedanklichen Bocksprüngen durch Geschichte und Gegenwart, erfrischend wie ein Doppel-Mokka.

Wobei nicht der Kabarettist zynisch ist, der feststellt: „Es ist ja alles nur mehr pervers“, sondern vieles, was deppert läuft zwischen Erde und Himmel, sich aber trotzdem wenig ändert. Etwa dass man für die Freiheit demonstrieren kann, sich eine infektiöse Lungenerkrankung einzufangen.

Weltpallawatsch

Wer heutzutage alles richtig machen will, hat’s schwer. Maurer will als Zeitgenosse „woke“ wirken, also wachsam sein für Diskriminierungen und Missstände, will wohl gendern, „aber Traditionsbegriffe wie Arschloch oder Nazi ungegendert belassen“, außerdem die Queer-, Trans- und Interpersonen nicht vergessen, aber stellt fest: „Man kann ja nix dafür, dass man nicht g’scheit divers ist.“

Im Programm geht es unter anderem um Political Correctness, das ethische Dilemma von Leben und Ökobilanz, Selbstoptimierung, Süchte vom „Trottel-Hattrick“ Zigaretten bis Heroin: „Aufhören ist ein Anfang.“

Außerdem um die Azteken, eine Taliban-Doku mit Andreas Hofer, den Space Penetrator von Jeff Bezos und wie „Werkfahrzeuge am Todesstern“ anmutende SUVs.

Gestolpert

Im Museum beobachtet Maurer Touristen, „die gar nicht mehr das Dürer-Original anschauen, sondern alle auf das Bild vom Bild am Smartphone schauen“.

Und fragt sich, warum in Österreich so viele Politiker über alles Mögliche – wie Gier bis zur „Faszination Smartphone“ – stolpern, aber nie über die Weitsicht des Wahlvolkes an der Urne: „Weil sich der Österreicher mehrheitlich das, was er sich hinterher nie hat vorstellen können, nicht vorstellt.“

Der 54-Jährige zaubert einem bei seinen seelengymnastischen Denksportübungen immer wieder starke Bilder ins Hirn. Er kritisiert die Neubauten, „die schon schiach auf die Welt kommen“, Einfamilieneigenheime, „bedingungslos geliebt, egal wie hässlich“, Bausünden allerorten, weil „das Gefühl verloren ging, wann es genug ist“ in der mit Shoppingtempeln und Gewerbeparks verschandelten Provinz: „So sieht das Anthropozän aus, wenn der Baumeister der Schwager vom Bürgermeister ist.“

Ohne schlechtes Gewissen zu leben, war gestern. Aber ist die innere Obergrenze des Schuldbewusstseins erreicht, stellen sich Wurstigkeit, Fortwursteln und Durchfretten ein – und es lebt es sich wieder ungeniert, beobachtet der Kabarettist.

Also ist am Ende im Kampf gegen Klimakatastrophe und den Andrang des Unzumutbaren alles doch nur ein Schmäh?

Eine vielleicht tröstliche Antwort steht bei Heimito von Doderer: „Das Nicht-zu-Bewältigende gibt uns die Ellenbogenfreiheit zum Versuche, die Bewältigung dennoch zu wagen.“

Werner Rosenberger

Über Werner Rosenberger

Seit 1994 beim KURIER im Kultur-Ressort und Autor zahlreicher Reise-Reportagen für den FREIZEIT-KURIER. Davor hat der gebürtige Steirer zehn Jahre lang bei verschiedenen Medizin- und Wissenschaftsmedien gearbeitet, war Mitgründer und Chefredakteur einer Wochenzeitung für Ärzte, außerdem Werbetexter und Autor u. a. für GEO, Profil, Trend und Diner's Club Magazin.

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