Zeitschleife: Die Zwillingsschwestern Joséphine und Gabrielle Sanz als Mutter und Tochter in „Petite Maman“

Interview mit Céline Sciamma: „Allianzen sind extrem wichtig“

Ein Interview mit der französischen Regisseurin Céline Sciamma über ihren neuen Film „Petite Maman“ und die Kraft der Frauen.

Von Susanne Lintl

Wenn ein französischer Film in den letzten Jahren reüssierte, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie dabei ihre Finger im Spiel hatte: Céline Sciamma, Jahrgang 1978, schreibt nicht nur ausgezeichnete Drehbücher (unter anderem für Jacques Audiards grandiose Vorstadt-Doku „Les Olympiades“ oder für André Téchinés „Quand on a 17 ans“); sie ist in den letzten 15 Jahren auch als Macherin ihrer eigenen Filme zu einer der wichtigsten Stimmen des europäischen Autorenkinos geworden. In ihrem neuen Film „Petite Maman – Als wir Kinder waren“ (ab Freitag im Kino), dem Nachfolgefilm des vielfach ausgezeichneten Frauendramas „Porträt einer jungen Frau in Flammen“, begibt sich die bekennende Feministin und Lesbe (sie war lange mit Adèle Haenel zusammen) auf eine zärtliche Reise in die Kindheit. Ein 8-jähriges Mädchen begegnet im Haus der gerade verstorbenen, geliebten Großmutter dem gleichaltrigen Ich ihrer Mutter und beginnt diese durch ihre gemeinsamen Gespräche und Unternehmungen erst richtig zu verstehen.

„Meine Idee war, dass ein Kind die junge Version seiner Mutter trifft. Kinder sind ein gutes Thema im Kino, weil sie präzise Beobachter sind. Vitale Analysten ihrer Umgebung und natürlich ihrer Eltern. Auf gewisse Weise macht es einen selber lebendig, wenn man sie beobachtet. Kinder sind neugierig und haben ihren eigenen Blick auf die Welt. Unwillkürlich denkt man an sein eigenes Leben, seine eigenen Erlebnisse als Kind“, sagt Sciamma im Interview mit dem KURIER. 

Natürlich habe auch sie Anleihen an ihrer eigenen Kindheit genommen: „Da gab es viele Anknüpfungspunkte. Erst einmal habe ich den Film an dem Ort gedreht, wo ich herkomme, in Cergy-Pontoise. Das Haus und die Zimmer sind angelehnt an das Haus meiner Großmutter, an das ich mich noch ganz genau erinnern kann. Das hat sich eingeprägt bei mir, weil ich mich so wohl gefühlt habe bei ihr. Großmütter sind für Kinder, besonders für Mädchen, wichtige Bezugspersonen. Sterben sie, so ist das eine Zäsur, ein furchtbarer Einschnitt.“

Céline Sciamma, profilierte französische Drehbuchautorin und Regisseurin

©APA/AFP/JOEL SAGET

Haben sie auch als kleines Mädchen Baumhäuser gebaut? - „Ja, ich habe es geliebt. Wir haben auch in dem Wald gedreht, in dem ich als Kind gespielt habe.“

In "Petite Maman" setzen sich Nelly und Marion beim gemeinsamen Baumhaus-Bauen und Spielen mit der Realität auseinander und kommen sich so behutsam näher. Die Begegnung mit der Vergangenheit und dem 8-jährigen Ich ihrer Mutter lässt für Nelly die Gegenwart klarer erscheinen. Sie versteht, warum ihre Mutter so oft traurig ist. „Sie sieht ihre eigene Geschichte plötzlich durch eine neue Linse“, so Sciamma. Berührend die Szene, in der Nelly ihrer Mutter vor einer schweren Operation die Angst zu nehmen versucht, wohl wissend, dass sie diese überstehen wird: „Es wird schon alles gut gehen“.

Céline Sciamma mag Filme mit und über junge Menschen, Coming-of-Age-Filme, die von der Magie der Kindheit, deren Verlust in der Adoleszenz und der damit einhergehenden Orientierungslosigkeit erzählen. „Water Lilies“ oder „Tomboy“ erzählen von dieser schwierigen Suche nach Identität. Ihre Helden sind immer Frauen - sie haben Sciamma geprägt und geformt, sie nur selten enttäuscht und ihr auch in schweren Zeiten geholfen.

Baumhaus bauen mit der eigenen Kind-Mutter: "Petite Maman"

©Alamode Film

„Wenn ich zurückblicke, dann sehe ich, dass Allianzen mit Frauen extrem wichtig für mich waren. Allianzen, die ich ganz am Anfang meines Weges geschmiedet habe. Mit Menschen, die noch immer in meinem Leben präsent sind. Vor allem mit meiner Produzentin Bénédicte Couvreur, die ich schon seit dem Filmstudium kenne. Man muss wissen, auf wen man sich verlassen kann, sonst schafft man es nicht.“

Sciamma ist eine der Initiatorinnen des Collectif 50/50, einer feministischen Vereinigung, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Gleichstellung von Männern und Frauen sowie die sexuelle und geschlechterspezifische Vielfalt im Kino und audiovisuellen Bereich zu fördern. „Eine mächtige Allianz sieht oft nicht mächtig aus, aber das macht nichts. Haltet zusammen und glaubt an eure Generation, dann sind wir stark. Das will ich den Frauen sagen“.

Als Nächstes möchte Sciamma „etwas Internationales“ machen. Einen Film, der nicht in Frankreich spielt. „Ich muss etwas Neues versuchen. Experimentieren. Anderes ausprobieren“. In welche Richtung es gehen könnte, deutete Sciamma schon an. Sie sei eine glühende Verehrerin des japanischen Anime-Meisters Hayao Miyazaki, so Sciamma im US-Filmmagazin „Little White Lies“: „Ich liebe seine Meisterwerke wie ,Mein Nachbar Totoro’ oder ,Chihiros Reise ins Zauberland’. Es wäre wundervoll, wenn ich auch einmal so einen Film machen könnte“. ,Ma vie de Courgette’, für den ich das Drehbuch verfasste, war ja auch schon ein animierter Film“.

Die eigene Mutter besser verstehen: "Petite Maman"

©Alamode Film

Kommentare