Pozuzo: Ein Stück Tirol inmitten der peruanischen Anden - Das Klima auf 825 Höhenmetern ist für Europäer erträglich, der Boden fruchtbar.

Wie hunderte Bergbauern ein kleines Tirol in den Anden schufen

Noch heute sagt man in den Anden Schtruggl, kennt Prennsuppn und hört Blasmusik: 35 Prozent der Bewohner von Pozuzo haben Tiroler Wurzeln.

Von Susanne Mauthner-Weber

Heute würden wir sie Wirtschaftsflüchtlinge nennen: 1857 brachen Hunderte Tiroler Bergbauern auf, um in Peru eine bessere Zukunft zu finden. 

Das reiche Angebot der Natur erweckte in Josef Egg wohl das Gefühl eines paradiesischen Zustandes. Im Mai 1858 schwärmte der Tiroler Pfarrer in einem Brief in die alte Heimat von Papayas, Pinas (Ananas), Grandadillas (einem Obst aus der Gattung der Passionsblumengewächse), Pomeranzen (Orangen) und einem "Wachsbaum, dessen Saft dem weißen Bienenwachs völlig gleichkommt". Er berichtet von Baumwolle und Cocablättern, Kaffee, Zuckerrohr und Tabak

Kurz: Von Produkten, die den Exil-Tirolern noch vor einigen Monaten komplett unbekannt gewesen waren.

Hier im peruanischen Urwald von Pozuzo aber gedieh alles prächtig und würde "unseren Leuten in kurzer Zeit schon schönes Geld eintragen".

"Kolonie der Märtyrer"

Dabei verschwieg Pfarrer Egg, welchen Leidensweg er und seine Schützlinge hinter sich hatten. Peruanische Zeitungen bezeichneten den Weg der Auswanderer damals als die "Odisea increible". Diese "unglaubliche Odyssee" trug den Tiroler Migranten den Namen "Colonia Martir", "Kolonie der Märtyrer", ein.

Wo Milch und Honig fließen?

Der 38-jährige Geistliche war ein gutes Jahr zuvor mit einer Schar österreichischer und deutscher Auswanderer in das "gelobte Land" aufgebrochen, in dem angeblich Milch und Honig flossen. 

Hier würden 1,5 Millionen Morgen fruchtbarsten Acker- und Weidelandes nur darauf warten, an die europäischen Siedler verteilt zu werden, hatte ein von Peru beauftragter Agent in Zeitungen verbreiten lassen.

Der Schweinsbraten wurde zum Tapir-Braten

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Das erschien den bitterarmen Tiroler Familien wie ein Geschenk des Himmels: Die peruanische Regierung versprach den Einwanderern Grundstücke und Felder sowie eine Versorgung bis zur ersten Ernte; dazu eine Straße zum versprochenen Tal – nach Pozuzo mitten in den Anden.

Weil sich die Straße aber als Fake entpuppte, geriet die Anreise der Tiroler in die neue Heimat zum Leidensweg. Erst weit mehr als ein Jahr nach ihrer Abreise gab Pfarrer Egg einer Vorhut von sieben Männern seinen Segen, ins weit entlegene Tal vorzudringen. 

"Es schaut aus wie in Tirol"

Sieben Tage später kehrten sie mit leuchtenden Augen zurück, schwärmten von der fruchtbaren Erde und der Schönheit der Landschaft: "Es schaut aus wie in Tirol." Der Pfarrer nannte die Männer "Kundschafter des gelobten Landes". Unter der Aufsicht von Seelsorger Egg teilte man das Land auf.

Statt Weizenmehl mussten sich die Tiroler an Mais- und Maniokmehl gewöhnen

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Wie aus Apfelstrudel Bananenstrudel wurde

Die Fremde bedeutet für die Bergbauern auch, dass sie lernen mussten, mit einer komplett neuen Umwelt klarzukommen: Bananen statt Äpfel, Maniok statt Erdäpfel, Maismehl statt Roggenmehl, Meerschweinchen statt Hasen.

Aber es ging bergauf: Das Klima auf 825 Höhenmetern war auch für Europäer erträglich. Man war von der enormen Fruchtbarkeit und dem raschen Wachstum begeistert. Einer der wenigen Indiobauern, der nach einer Typhusepidemie im Jahr 1854 noch am Pozuzo siedelte, versorgte die neuen Nachbarn mit Setzlingen, die Ernte – Mais, Jukka, Reis, Bananen – war reichlich, zudem versorgte man sich auf der Jagd mit Rehen, Wildschweinen, Tapiren und Nagetieren.

Die mitgebrachten Hühner hatten sich schnell vermehrt, nach einem Jahr besaßen einige Siedler an die 200 Tiere. Während sich die Kühe gut akklimatisiert hatten, stellte sich bald heraus, dass die eingeführte spanische Schweinerasse das Klima nicht vertrug. Man stellte also auf die landesüblichen "Chanchos Chinos" um – ab da ging es auch in Sachen Schweinebraten bergauf.

Baumwolle kannten die Tiroler Bergbauern ebenso wenig wie Wachsbäume.

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Die Kulinarik-Forscherin Ruth Haselmair hat der Pozuciner Küche ihre Doktorarbeit gewidmet und meint, "dass der Anpassungsprozess an die lokale peruanische Küche zwar weit vorangeschritten ist, die Küche sich allerdings nach wie vor durch ihre österreichisch-deutschen Besonderheiten auszeichnet". 

Und so haben sich Namen im pozuzo-tirolerischen Dialekt erhalten: 

  • Schtruggl (alter Oberinntaler Ausdruck für Strudel)
  • Morgatskaffee
  • Khiachalan (kleine Kuchen) 
  • Prennsuppn – die natürlich mit Mais- statt Weizenmehl wie in der alten Heimat

Tiroler Traditionen in den Anden

Heute leben gut 1.000 Menschen in Pozuzo, der ganze Distrikt zählt 7.000 Bewohner. Etwa 35 Prozent sind Nachkommen europäischer Einwanderer. Und weil die Familien die Traditionen ihrer alten Heimat so lange hochgehalten haben, werden heute Schnitzel und Bananenstrudl, Volkstanz und Blasmusik touristisch vermarktet. Und keiner schilt die Pozuziner "integrationsunwillig", wie wir es heute so gerne tun, wenn wir Migranten kritisieren, die sich in Österreich ihre Kultur bewahren möchten.

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Weltreise durch die Migrationsgeschichte von ÖsterreicherInnen, von Ötzi bis heute: Zuhause ist anderswo

Susanne Mauthner-Weber, Hannes Leidinger

Leykam Verlag, 28 €
 

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