
Erfolgsautorin Decker: "Ich hatte Angst, einen Roman zu schreiben"
Anika Decker erzählt in ihrem Bestseller von der Liebe mit 50, MeToo und überholten Lebensentwürfen. Ein Interview über Mut.
Sie schrieb das Drehbuch zum Millionenseller "Keinohrhasen", den Profit machten andere. Anika Decker sorgte für mediales Aufsehen, als sie Til Schweiger und Warner Bros. 2018 verklagte, um im Nachhinein ein angemessenes Honorar zu erstreiten. Der Prozess ging gerade überraschend zu Ende, Decker zog ihre Berufung zurück.
Doch jetzt steht sie sowieso als Roman-Autorin im Fokus. Die freizeit erreicht sie in Berlin, um über ihr neues Buch, "Zwei vernünftige Erwachsene, die sich mal nackt gesehen haben", zu sprechen.
Die Geschichte einer Frau, die ihr Umfeld empört, weil sie anders lebt und liebt, als man es von ihr erwartet. Anika Decker selbst geht selten den einfachsten Weg – weder beruflich noch privat. Sie hat eine lebensbedrohliche Krankheit überstanden, freut sich wahnwitzig auf ihren Fünfziger, sucht Gerechtigkeit und weiß, warum guter Humor immer auch Schmerz braucht.
Ein Interview über die Lust am Neubeginn, wie einem die Angst dabei weiterhilft, und warum es sich lohnt, es sich nicht allzu bequem im Leben zu machen.
Guter Humor funktioniert nur, wenn da auch Schmerz drunter liegt.
In Ihrem Roman geht es um die Liebe einer 49-Jährigen zu einem 20 Jahre jüngeren Mann – und die Reaktionen darauf. Was war der Anlass für Sie, dieses Thema aufzugreifen?
Anika Decker: Es hat schon die ganze Zeit in mir geschlummert, auch weil ich selbst auf den Fünfziger zugehe. Ich sehe in der Filmbranche oft die Konstellation älterer, mächtiger Mann mit sehr, sehr viel jüngerer Frau. Das gilt als normal. Ist es andersherum, wird das doch anders bewertet: Da ist schnell mal vom Toyboy die Rede.
Nina, Ihre Protagonistin, ist verunsichert ...
Ja, sie denkt sofort, dass das natürlich nicht sein kann, schon gar nicht von Dauer. Sie nimmt ganz selbstverständlich an, dass das nur so eine Art Phase ist. Doch es kommt raus und ihre erwachsenen Kinder sind gar nicht begeistert.
Sie verliebt sich nicht nur in einen Jüngeren, sondern bekommt in einer Nacht gleich vier Orgasmen. Eine ungewohnte Vorstellung?
Ja, das habe ich auch festgestellt, dass wir da ein seltsames Bild davon haben. Und ich wollte da eine neue Note reinbringen. Lebensfreude und Lebenshunger sind doch ein toller Mix mit der Lebenserfahrung, die man im Alter hat. Darüber wollte ich schreiben, dass es nicht so ist, wie oft dargestellt. Man verliebt sich auch mit 50, 60 und 70. Der Vater meiner Freundin hat sich mit 95 noch mal heftig verliebt und ist mit seiner Freundin zusammen.
Man hört von "später Liebe", aber glaubt, das seien Ausnahmen und habe nichts mit dem eigenen Leben zu tun.
Genau dagegen wollte ich anschreiben. Ich halte das für Blödsinn und finde es schade, dass man anfängt an sich zu zweifeln und glaubt, mir passiert das sicher nie. Außerdem glaube ich, dass man in jedem Lebensalter Gefahr läuft, in einem blödsinnigen Lebensentwurf festzustecken.
Ihr Roman durchbricht die Lebensentwürfe von Frauen. Machen Sie sich auch ein bisschen über das Mutterdasein lustig?
Nein, auf keinen Fall. Ich mache mich lustig über diese Stereotype, dass man heutzutage ein Sixpack haben muss, wenn man gerade ein Kind bekommen hat. Es kann ja jeder tun, was er möchte, aber da herrscht ein wahnsinniger Druck. Das ist ungerecht, weil ein Kind zu erziehen erfordert sehr viel Aufmerksamkeit und Mühe. Ich mach' mich lustig über die gesellschaftlichen Erwartungen, die Frauen unter Druck setzen.
Sie kreieren äußerst skurrile Situationen, etwa wenn nicht einmal mehr die Lesebrille hilft, um das Ablaufdatum der Kondomverpackung zu entziffern. Wie viel Spaß hatten Sie beim Schreiben?
Ich hatte so viel Spaß, wie schon seit Jahren nicht mehr. Es fühlt sich auch gerade wie ein Neubeginn für mich an. Ich freue mich wirklich auf die 50, kann einfach nur sagen, das ist jetzt die beste Zeit meines Lebens.
Ich sehe in der Filmbranche oft die Konstellation älterer, mächtiger Mann mit sehr, sehr viel jüngerer Frau. Das gilt als normal.
Sie gehen offen damit um, dass sie es schon besonders schwer im Leben hatten. Sie lagen 2010 acht Tage im Koma wegen einer Blutvergiftung mit Organversagen.
Ja, eben, das rückt einem natürlich auch noch mal den Blick zurecht. Ich bin damals fast gestorben. Das war vielleicht das Einschneidendste, das ich je erlebt habe.
Wie haben Sie zurück ins Leben gefunden?
Es war hart, ich musste laufen lernen, essen, alles wieder neu lernen, ich konnte nichts mehr. Es war schwer, auch weil ich selbstständig bin, und wenn in der Filmbranche Leute das Gefühl haben, dass du nicht mehr funktionierst, wirst du nicht mehr engagiert. Ich habe viele Jahre gebraucht, um zu heilen. Ich musste ja trotzdem arbeiten. Und da habe ich vielleicht unbewusst ein paar Dinge gelernt, die man heute als Achtsamkeitsübung bezeichnen würde.
Was zum Beispiel?
Ich habe darauf geachtet, dass ich frei im Kopf bin zum Schreiben. Dazu gehört, rigoros Dinge zu streichen, die nur Kraft nehmen, aber keine geben. Ich habe auch gelernt, dass ich mich ausruhen muss. Dazu gehört, seinen Beruf ernst zu nehmen und wahrzunehmen, wenn es anstrengend ist. Es ist okay, sich danach auszuruhen!
Anika Decker
Anika Decker wird im August 50. Die gebürtige Marburgerin ist verheiratet, lebt in Berlin und schrieb 2019 ihr Roman-Debüt "Wir von der anderen Seite". Ihr erster großer Erfolg gelang als Drehbuchautorin für "Keinohrhasen", 2007. Mit ihren Regiearbeiten "Traumfrauen" (2015) und "High Society" (2017) eroberte sie die Kinocharts. Ihr neues Buch "Zwei vernünftige Erwachsene, die sich mal nackt gesehen haben" ist im Verlag dtv erschienen.
Ich glaube, dass man in jedem Lebensalter Gefahr läuft, in einem blödsinnigen Lebensentwurf festzustecken.
Egal, ob Ihre Filme oder Romane – Witz und Ironie gehören immer dazu?
Ja, Humor ist mein Motor, mein innerer Kern. Man kann sich nicht aussuchen, aus welchem Holz man geschnitzt ist, jeder Mensch hat seinen eigenen Antrieb.
In Ihrem Roman liegen Humor und Schmerz sehr eng beieinander ...
Ich glaube, guter Humor funktioniert nur, wenn da auch Schmerz drunter liegt. Ich glaube übrigens auch, dass Humor einen resilienter machen kann.
Im Roman geht es auch sehr viel darum, Ängste zu überwinden und Mut zu beweisen. Ist Ihnen das ein Anliegen?
Ja, es ist mein Lebensthema. Ich bin ein grundlegend ängstlicher Mensch und habe ein großes Bedürfnis nach Sicherheit. Ich finde es nicht schlimm, wenn man Angst hat. Die Hauptfrage im Leben ist, ist man bereit, dieser Angst zu begegnen und ins Auge zu sehen? Ich glaube, man bekommt nicht viel vom Leben ohne Risiko. Ich hatte Angst, einen Roman zu schreiben. Und jetzt bin ich wahnsinnig stolz und glücklich darüber.
Als Drehbuchautorin und Regisseurin sind Sie umgeben von Stars. Elyas M. Barek hat zu Ihrer Hochzeit ein Video gedreht. Was bedeutet Ihnen diese Glamourwelt?
Da darf man sich nicht vertun, das sind ja nur kleine Schnipsel. Mein Leben ist zu 98 % nicht glamourös. Und dann kommen da diese zwei Prozent mit diesen Fotos. Jede Hochzeit ist doch glamourös, auch wenn man nur zu zweit auf dem Standesamt ist. Ein besonderer Augenblick im Leben, den man besonders empfindet.
Die Filmbranche ist auch in Ihrem Roman Thema. Es geht um Übergriffe am Set. Stichwort: MeToo. Hat sich da für Frauen eigentlich etwas geändert?
Ich denke, es hat sich schon einiges geändert und befindet sich auf einem ganz guten Weg, aber es gibt immer noch einen Bedarf, bessere Strukturen zu schaffen, sodass Machtmissbrauch auch auf eine sichere Art und Weise gemeldet werden kann und dass es da auch eine Handhabung dafür gibt.
Ich bin ein grundlegend ängstlicher Mensch und habe ein großes Bedürfnis nach Sicherheit.
In der Geschichte wird versucht, Druck auf die Frauen auszuüben, die sich wehren. Auch wer ihnen beisteht, muss um seinen Job fürchten. Kennen Sie das?
Die Hauptfigur und ihre beste Freundin gehen halt genau den Weg, den man in der Theorie gehen sollte. Und ich habe mal als Experiment durchgespielt, was würde denn da passieren? Ich kenne diesen Alltag von früher. Wenn man anfängt in der Filmbranche, bedenkt man gar nicht, wie viel Druck man ausgeliefert ist, wenn man sich wehrt. Auch bei mir war das früher so, wenn ich meinen Job verloren hätte, hätte ich de facto kein Geld für die Miete gehabt.
Kann man sagen, dass die Filmbranche ein heißes Pflaster ist?
Nicht nur die Filmbranche. Ich habe schon als Kellnerin gearbeitet, in irgendwelchen Büros gejobbt – überall ist ein heißes Pflaster. Meine Großmutter, meine Mutter, alle kennen solche Situation, wenn man irgendwo anfängt zu arbeiten und dann merkt man, jemand Mächtiger hat ein Auge auf dich geworfen. Dann kriegst du Angst, weil du weißt, du musst trickreich versuchen, dich dem zu entziehen und darfst die Gegenseite am besten nicht verärgern.
Was muss sich ändern?
Jeder sollte sich damit auseinandersetzen, egal ob Frau oder Mann, und diese Strukturen für sich analysieren und versuchen, zu lernen. Es geht darum zu verstehen, dass das ein strukturelles Problem ist. Im Roman geht es ja auch um viel Geld, das verloren gehen würde, wenn man die Missstände aufklären würde. Denn wenn in einem Projekt sehr viel Geld steckt, dann funktioniert die Struktur automatisch so, dass Täter gedeckt werden oder Dinge vertuscht werden.
Es sind die Frauen, die sich dann zusammentun und einen mutigen Weg finden. Sie selbst haben in der Realität Mut bewiesen, als Sie gegen Til Schweiger und Warner Bros. Klage einbrachten. Ein Präzedenzfall, von dem alle Drehbuchautoren in Deutschland profitieren können …
Es ist ein laufendes Verfahren, deshalb kann ich dazu nichts sagen. Das wird noch eine ganze Zeit dauern. (Anm. der Redaktion: Der Prozess ging überraschend zu Ende. Das Interview wurde kurz davor geführt. Anika Decker hat die Berufung zurückgezogen).
Das Ganze dauert bereits sieben Jahre. Was hilft einem da durchzuhalten? Familie?
Ja klar, meine Mutter, mein Mann, mein Bruder, meine Freunde. Es ist generell eine gute Idee, wenn man irgendeine Art von Karriere startet, sich auch um sein privates Umfeld zu kümmern. Das ist dann der Ort, an dem man schwach sein darf und Angst haben darf und sich wohlfühlen kann. Deswegen glaube ich, man kann generell im Leben nur viel schaffen, indem man sich auch ein Umfeld schafft, wo man sich zu Hause fühlt.
Ich habe erlebt, wie Produzenten mit Kugelschreiber in Dialoge von Autoren reinschreiben.
Als Bestseller-Autorin sind Sie bereits eine gefragte Interview-Partnerin. Wie ist das eigentlich als Drehbuchautorin?
Ich weiß nicht, ob das auch in Österreich so ist, aber der Beruf des Drehbuchautors in Deutschland bräuchte mehr Respekt. Das sieht man schon an der rechtlichen Situation von Drehbuchautoren. Viele denken, der Regisseur oder die Schauspieler schreiben das alles. Ich werde immer noch gefragt: "Steht denn da im Drehbuch alles drin, was da passiert?" Drehbuchautoren fallen insgesamt zu sehr hinten runter.
Wie kann man sich das vorstellen?
Ich habe erlebt, wie Produzenten mit Kugelschreiber in Dialoge von Autoren reinschreiben. Das ist in anderen Ländern besser geschützt. Auch wenn sich der Regisseur als Mitautor ins Drehbuch schreiben möchte, das geht dort nicht einfach so. In Deutschland schon.
Es gibt Menschen, die sich lieber mit Bestehendem arrangieren, es gemütlich haben wollen, statt Dinge zu verändern.
Wenn es wirklich gemütlich ist, dann sollte man es sich auch gemütlich machen. Wenn man aber nur so tut, als wäre es irre gemütlich, obwohl es das gar nicht ist, lohnt es sich, auch unbequeme Fragen zu stellen.
In Ihrem Buch wird gerade daraus sogar ein Happy End. Wie wichtig ist Ihnen das in Ihren Filmen und Büchern?
Das Happy End ist mir sehr wichtig. Ich möchte gerne Hoffnung verbreiten. Aber ich kann jetzt nicht darauf schwören, dass es immer ein Happy End geben wird.
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