Florian David Fitz als Vater, von Beruf Polizist, dessen Sohn Oskar (links) Kleider bevorzugt
Film

Interview mit Florian David Fitz: "Die Tränen von jemand anderem weinen“

Schauspielstar Florian David Fitz spielt den Vater eines Buben, der ein Mädchen sein will: Er hat zu „Oskars Kleid“ auch das Drehbuch geschrieben.

Was, wenn der neunjährige Sohn Oskar plötzlich beschließt, er ist eigentlich ein Mädchen und heißt Lili? Sein geschockte Vater, ein geschiedenen Polizisten namens Ben, muss daraufhin seine eigene Rolle komplett hinterfragen.

Der deutsche Schauspielstar Florian David Fitz hat selbst das Drehbuch zu seiner temperamentvollen Tragikomödie „Oskars Kleid“ (derzeit im Kino) geschrieben und auch gleich die Hauptrolle als Vater übernommen.

Die Geschichte eines Transgender-Mädchens in Ihrem Film „Oskars Kleid“ ist eine interessante und überraschende Wahl für eine Mainstream-Komödie. Was hat Sie zu dieser Geschichte inspiriert?

Florian David Fitz: Ich suche immer nach Themen, die auf den ersten Blick kein Thema für eine Mainstream-Komödien sind. Es soll eine Herausforderung sein. Eine Komödie über eine Komödie zu machen, die einfach nur eine Komödie ist, ist langweilig. Ich finde, Spannung und Witz ergeben sich erst aus einem ernsthaften Thema. Aber der Einfall zu einer Transgender-Geschichte kam mir, als ich vor zehn Jahren in einer Talkshow mit Alice Schwarzer saß, mit der ich mich sehr gut unterhalten habe. Danach schickte sie mir ein Care-Paket mit ihrer Autobiografie und zwei Ausgaben ihrer feministischen Zeitschrift „Emma“. Ich hab„ erst einmal die „Emma“ durchgeblättert, weil mir die Autobiografie ein bisschen zu dick war (lacht) – und stieß auf ein ganz besonderes Bild von einem Mann und seinem Sohn. Da dachte ich: Das wäre ein wahnsinnig gutes Schlussbild für einen Film. Was man da genau sieht, möchte ich nicht sagen, weil es ja das Ende von „Oskars Kleid“ ist. Aber dieses Bild hat mich dazu inspiriert, eine Geschichte dazu zu erfinden. Das Ganze ist natürlich insofern pikant, als Alice Schwarzer zum Thema Transgender eine sehr strittige Haltung vertritt. Deswegen ist es lustig, dass ausgerechnet sie die Hebamme dieses Films ist.

Transgender ist in den letzten Jahren verstärkt in unserer Gesellschaft Thema geworden. Viele Menschen finden, dass Transgender „nur“ ein Trend ist, der Nachahmer findet. Auch in Ihrer Komödie fällt der Satz: „Transgender ist die neue Magersucht.“ Was entgegnen Sie diesem Argument?

Der Film thematisiert viele kontroverse Punkte zum Thema Transgender. Alle Fragen werden auf den Tisch gebracht. Wir haben es uns nicht leicht gemacht. Ich glaube schon, dass Transgender derzeit ein Thema ist, das von vielen Kindern aufgenommen wird, die vielleicht gar nicht trans sind. Ich glaube aber, dass sich da die Spreu relativ schnell vom Weizen trennt. Ich glaube nicht, dass jemand in seiner Teenagerzeit den Prozess der Geschlechtsangleichung auf sich nimmt, wenn er oder sie nicht ganz fest davon überzeugt ist. Insofern weiß ich nicht, ob diese Sorge der Nachahmung berechtigt ist. Interessanterweise betrifft es vor allem Mädchen, die von diesem „Trend“ betroffen sind. Und es ist ja auch wiederum sehr spannend, sich zu fragen: Warum ist das so?

Warum?

Ich weiß es nicht. Deswegen sagen manche auch diesen zynischen Satz, Transgender sei die neue Magersucht. Es betrifft genau dieselbe Gruppe an Mädchen, die dafür verletzlich ist. Aber wie gesagt, ich glaube nicht, dass die große Mehrheit an Kindern, die sich dafür interessiert, ihre Umwandlung auch tatsächlich durchboxen. Ich bin aber kein Experte und kenne die Daten nicht.

"Haben es uns nicht leicht gemacht": Florian David Fitz über "Oskars Kleid"

©Kurier/Gilbert Novy
Sie haben selbst das Drehbuch zu „Oskars Kleid“ geschrieben und treten als Produzent auf. Warum haben Sie nicht auch selbst Regie geführt?

Aus rein privaten Gründen. Ich konnte nicht. Ich habe Kinder bekommen (Florian David Fitz ist Vater von Zwillingsbuben, Anm.). Das ist die Antwort: Unvereinbarkeit von Beruf und Privatleben (lacht).

Ihre Wahl fiel auf Hüseyin Tabak, der in Wien bei Michael Haneke studiert hat. Warum er?

Ich fand seinen letzten Film „Gipsy Queen“ (über eine Roma-Boxerin, Anm.) fantastisch. Darüber habe ich ihn kennengelernt und mir gedacht, das wäre doch spannend, wenn er sich für diesen Film interessiert.

In Zusammenhang mit Ihrem Namen fällt immer wieder der Begriff des Publikumslieblings …

Das sind Labels, die nicht ich mir ausdenke, sondern andere.

Das ist klar. Aber verstehen Sie das Vertrauen, das Ihnen ein großes Publikum entgegenbringt, auch als Auftrag, komplexere Themen und Außenseiterrollen in den Mainstream hineinzutragen?

Ich glaube, dieses Bedürfnis kommt aus mir selbst heraus. Ich habe einfach keine Lust auf Filme ohne Themen. Das interessiert mich einfach nicht. Ich will etwas nehmen, das ich spannend und interessant finde oder das Fragen aufwirft, die nicht leicht lösbar sind. Und dann kommt die Schachaufgabe: Wo ist der Humor in dieser Geschichte? Das ist mir einfach wichtig. Natürlich ist die Komödie eine Art Trojanisches Pferd, mit der ich Leute leichter ins Kino bringe, als wenn ich sage: „Der Film, den ihr gleich sehen werdet, ist wirklich hart und traurig“. Das ist der eine, offensichtliche Grund. Aber der andere Grund ist, dass ich das Gefühl habe, dass das Leben stärker abgebildet wird, wenn ich den Humor auch in ernsthaften Sachen suche oder sehe. Ich finde, ein Merkmal unserer Zeit ist ja, dass wir das genau nicht machen. Dass wir das Gefühl haben, Ernsthaftigkeit und Ernst sei dasselbe. Aber es sind zwei unterschiedliche Worte. Und der gesamte jüdische Humor – 2000 Jahre alt – basiert darauf, darüber zu lachen, dass das Leben grausam ist (lacht herzlich). Einer der wichtigsten Dinge, die wir an der Seite haben, ist Humor.

Haben Sie das Gefühl, dass die Gender-Debatte mehr Humor vertragen könnte?

Jede unserer Debatten verträgt mehr Humor. Und vor allem auch das Bewusstsein, dass Humor und ein wichtiges Anliegen einander nicht ausschließen.

Apropos jüdischer Humor: Es war überraschend, dass Ihre Hauptfigur Ben, von Beruf kleiner Polizist, aus einer großbürgerlichen, jüdischen Familie stammt.

Senta Berger und Burghart Klaußner als großbürgerliches, jüdisches Ehepaar: "Oskars Kleid"

©Warner

Das ist eine Sache, die sich ganz logisch aus der Geschichte ergibt. Als Zuschauer denkt man zuerst, Ben ist dieser Polizist von der Straße, der seine Familie verkackt hat – und das war’s dann. Aber dann bemerken wir plötzlich, dass er aus einer ganz anderen Welt kommt und genau unter derselben Problematik leidet wie sein Sohn Oskar: Auch er hat seinen Eltern nicht genügt. Auch er hat sich ganz anders entwickelt, als seine Eltern sich das gewünscht haben. Das ist ganz wichtig: Der gesamte Film handelt von Bildern, die wir voneinander haben. Aber das Leben ist nicht wie ein nettes Familienbild. Vielleicht sollte man die Bilder abhängen und die Menschen genauer anschauen. Dann hat man eine wirkliche Familie. Man muss seine Familie anschauen und sehen, wie sie ist. Und nicht, wie man sie gerne hätte (lacht). Dafür war der jüdische Hintergrund wichtig.

Sie erzählen den jüdischen Background auch nur ganz nebenbei.

Wir haben überlegt, ob Ben vielleicht aus einem katholischen Haus kommt, aber dann dachte ich: Ich möchte das Jüdische völlig normal behandeln – mit allem, was damit einher geht. In Deutschland gibt es wenige Geschichte, in denen das Judentum ganz selbstverständlich erzählt wird, ohne es gleich zum Hauptthema zu machen oder zu problematisieren. Das war mir wichtig, weil ich dachte, das sollte doch ganz selbstverständlich sein. Ich habe in New York studiert und bin dieser Form von aufgeklärtem Judentum die ganze Zeit über begegnet. Das war für mich wie eine neue Welt, die bei uns verloren gegangen ist.

Florian David Fitz ist Vater von Zwillingsbuben und hatte keine Zeit, selbst die Regie von "Oskars Kleid" zu übernehmen

©Kurier/Gilbert Novy
Sie stellen den unverständigen Vater in den Mittelpunkt, nicht das Kind. Warum war Ihnen das wichtig?

Das war eine ganz bewusste Entscheidung. Ich persönlich habe schon einige wirklich tolle Filme gesehen, die aus der Perspektive von betroffenen Personen erzählt werden, etwa „Girl“ von Lukas Dhont. Ich wollte aber aus der Perspektive von jemanden erzählen, der völlig unvermutet mit dem Thema konfrontiert wird: Daraus speist sich auch die komödiantische Reibung. Ben hat ein völlig gesundes Kind, das ein Kleid trägt und vielleicht ein Mädchen ist. Daraufhinwerden alle verrückt. Das war die Prämisse – bis das Kind denkt: „Vielleicht bin ich das Problem?“ Es ging mir gar nicht darum, innere Qualen zu erzählen, die in dem jungen Alter ja noch gar nicht virulent sind. Sondern meine Frage war: Was macht es mit den Eltern? Die Eltern stehen vor einem Dilemma – und das ist spannend zu erzählen.

Aus der Perspektive des Vaters erzählen: Florian David Fitz in "Oskars Kleid"

©Warner
Ihre Figur reagiert anfänglich auf die Transgender-Affinität seines Sohnes mit starken Sätzen wie „Hauptsache nicht schwul“. Wollten Sie da bewusst provokante Ansagen machen?

Natürlich. Das ganze Spiel mit Männlichkeit und den Witzen, die damit einher gehen … Wichtig ist, dass diese markigen Sprüche ständig hinterfragt werden. Es macht Spaß, alle diese Ansagen zu demontieren. Aber wir erzählen den Vater auch nicht eindimensional. Man hört nie den Satz von ihm: „Das darfst du nicht.“ Oder: „Du bist falsch.“ Stattdessen sagt er: „Ich war nicht da. Ich habe verkackt. Du brauchst Liebe.“ Und es könnte ja auch so sein. Es war mir schon wichtig, dass die Geschichte modern erzählt wird und nicht mit Argumenten aus dem Jahr 1980 (lacht). So ist der Vater ja auch nicht. Er ist nicht bescheuert. Er liebt sein Kind.

Sie widmen den Film „allen Familien“.

Ich danke erstmal allen Menschen, die ihre Geschichten mit mir geteilt haben. Aber mein Film richtet sich an alle Familien. Das ist ja das Tolle an Filmen: Wir verbinden uns mit Schicksalen, die vielleicht gar nicht unsere sind. Wir weinen die Tränen von jemand anderem. Ich denke, das dürfen wir wieder ein bisschen mehr machen: Einfach mal für 90 Minuten durch die Augen von jemand anderen schauen. Das reicht schon. Und gar nicht mit erhobenem Zeigefinger. Empathie kann auch als Entertainment daherkommen. Kurz mal eine andere Erfahrung zu machen als die eigene, ist einfach saugut. Das ist etwas, das ich uns allen in dieser Zeit total gönne: Dass ich fühlen kann, was du fühlst. Das finde ich ganz wichtig.

Familie in der Krise: "Oskars Kleid"

©Warner
Alexandra Seibel

Über Alexandra Seibel

Alexandra Seibel schreibt über Film, wenn sie nicht gerade im Kino sitzt.

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