Ernst-Jandl-Marionetten: die verzweifelte Arbeit eines Autors
Kritik

„humanistää!“: Die Marionetten der Sprachkunst von Ernst Jandl

Unter dem Titel „humanistää!“ zeigt das Volkstheater eine bravouröse Inszenierung der Sprechoper „Aus der Fremde“

Ernst Jandl, genialer Feinmechaniker der Sprache, schrieb nur zwei Stücke – in den 1970er-Jahren im Auftrag des Festivals „steirischer herbst“. In der Sprechoper „Aus der Fremde“ berichtet er mehr oder weniger von seinem Alltag als Autor, über die eher komplizierte Beziehung zu Friederike Mayröcker (sie starb im Juni 2021) und über den Theaterkritiker Hans Haider, der zu Besuch kommt.

Jandl hatte ganz genaue Vorstellungen, wie die Figuren seine kurzen, durchnummerierten, an Haikus erinnernden Drei-Zeilen-Strophen zu artikulieren und sich auf der Bühne – ein eher kahl wirkendes Zimmer mit Tür A und Tür B – zu bewegen hätten. Im Volkstheater nimmt man darauf nicht nur Rücksicht: Regisseurin Claudia Bauer und Bühnenbildnerin Patricia Talacko gelang eine hinreißende, exakte Umsetzung.

Es beginnt wie ein Puppenspiel: In einer winzigen Guckkastenbühne sägen „sie“ und „er“ marionettenartig mit Messern zur minimalistischen Musik am Essen, ihre Dialoge werden von Schauspielern seitlich aus dem Off dazugesprochen. Immer wieder steht eine Figur auf, geht ab – und kommt leicht verändert wieder. Weil, wie sich herausstellt, jede und jeder im Ensemble mit einer Maske auf dem Kopf „sie“ oder „ihn“ verkörpert. Das birgt Witz.

Nach dieser Szene weitet sich die Bühne zu einem riesigen „Büro“ mit gelochten Holzwänden. Claudia Bauer ergänzt den Alltag des Autors im grauen Anzug, der unentwegt raucht und Whiskey trinkt, um Traumsequenzen oder Gedanken – beziehungsweise „Aus der Fremde“ um andere Texte von Jandl.

Collage mit Clowns

Die Inszenierung der „Rezitative“ erhält ob dieser Einschübe tatsächlich etwas Opernhaftes. Im Orchestergraben sitzen denn auch vier Personen im Frack; dass Dirigentin Jera H. Petriček, wenn ein Akteur zu sehr in Saft geht, den Regenschirm aufspannt, steigert die Groteske noch.

Doch irgendwann stockt der Erzählfluss: Das stringente Konzept mutiert zu einer Collage. Denn Claudia Bauer und Dramaturg Matthias Seier haben auch Jandls zweites Stück „die humanisten“ integriert – als Clown-Nummer. Es schmerzt, dass genau die zentrale Passage (es geht um die Fristenlösung) gestrichen wurde. Und warum gerade ein Zitat aus der Rumpf-Version dem mit 2 Stunden 20 etwas zu langen Abend den irreführenden Titel „humanistää!“ gibt, bleibt rätselhaft.

Aus dem hoch motivierten Ensemble sticht Samouil Stoyanov mit seiner überwältigenden Interpretation des „deutschen gedichts“ heraus. Er zeigt, was einst auch Jandl bei seinen Performance-Lesungen bewies: Es braucht eigentlich gar kein Klimbim.

Thomas Trenkler

Über Thomas Trenkler

Geboren 1960 in Salzburg. Von 1985 bis 1990 Mitarbeiter (ab 1988 Pressereferent) des Festivals „steirischer herbst“ in Graz. Seit 1990 freier Mitarbeiter, von 1993 bis 2014 Kulturredakteur bei der Tageszeitung „Der Standard“ in Wien (Schwerpunkt Kulturpolitik und NS-Kunstraub). Ab Februar 2015 Kulturredakteur beim “Kurier” Kunstpreis 2012 der Bank Austria in der Kategorie Kulturjournalismus für die Recherchen über die NS-Raubkunst seit 1998 und die kontinuierliche Berichterstattung über die Restitutionsproblematik (Verleihung im Februar 2013).

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