Hit verwursten: Warum Popstars alte Songs recyceln

Von Dua Lipa bis David Guetta - viele leihen sich ältere Songs aus. Warum das angesagt und ob das das Ende der Kreativität ist.

He, das kenn ich doch!“ Wer derzeit ein Hitradio – egal welches – aufdreht, hat nicht selten das Gefühl, das musikalisch kaum mehr Neues nachkommt.

Verwursten feiert fröhliche Urständ. David Guetta grub mit Bebe Rexha den bösen Ohrwurm Blue von Eiffel 65 aus der Müllhalde der Musikgeschichte aus und benannte ihn in „I’m good (Blue)“ um. Dua Lipas Produzenten machten aus dem lässigen Neunziger-Klassiker „Your Woman“ von White Town mit prägnanter Trompeten-Melodie das passable, aber nicht ganz so lässige „Love Again“. Der Popstar der Stunde ist überhaupt dem Recyceln ganz und gar nicht abgeneigt. Ob INXS oder Olivia Newton John: kaum wer ist sicher vor ihren Versionen.

Und die australischen Produzenten von PNAU hauchten für den Überdrüber-Hit „Cold Heart“, das Dua Lipas und Elton Johns Gesang enthält, gleich ganzen drei Elton-John-Nummern neues Leben ein: „Sacrifice“, „Rocket Man“, und „Kiss The Bride“. Zuletzt hat sich Britney Spears für „Hold Me Closer“ auch drei Lieder des englischen Sirs ausgeborgt – darunter den Gassenhauer „Don’t Go Breaking My Heart“.

Schon fad, was da gerade abläuft, könnte man meinen. Andererseits: „Das ist an sich nichts Neues. In der Popularmusik gibt es in Zyklen Rückgriffe auf Vergangenes“, sagt Michael Weber vom Institut für Musikwissenschaft an der Universität Wien.

Von Rock'n'Roll bis Hip Hop

In den Fünfzigern etwa, haben sich Weiße bei afroamerikanischen Künstlern der 30er bedient. Und: „Der ganze Hip Hop basiert darauf, dass man mit Samples arbeitet und bestehendes Material wiederverwertet“, erklärt Ralf van Appen, Professor für Popularmusik an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien. „Aber dennoch lässt sich nicht leugnen, dass das Recyceln im Pop in den vergangenen zehn Jahren zugenommen hat.“ Das sei aus kommerzieller Sicht für die Industrie wichtig. „Jeden Freitag kommen enorme Mengen an Songs auf Spotify heraus. Wenn man etwas wiedererkennt, sind die Chancen größer, Aufmerksamkeit zu bekommen und gehört zu werden.“ Und Gewohntes sei erfolgreicher als musikalisch Herausforderndes. „Popmusik ist keine Avantgarde.“

Interpolation heißt das, wenn Teile eines Musikstücks in einem anderen zitiert werden. Anders als beim Sample verwendet man beim Interpolieren nicht das Original, sondern spielt eine eigene Version. Dabei können Instrumente andere sein, doch die Noten bleiben dieselben. Auch Soundalikes sind beliebt, die klare Assoziationen hervorrufen, aber doch etwas verändern.

In vielen Fällen passiert das auch auf Wunsch der Künstler. Elton John selbst war es, der die Produzenten PNAU entdeckt und ihnen seine Lieder zur weiteren Bearbeitung zur Verfügung gestellt hat. Er wollte bei den Jungen erfolgreich sein und wieder vermehrt im Radio gespielt werden. Dafür musste der Star nicht einmal mehr ins Tonstudio zum Einsingen.

Für die Nummer Cold Heart musste Dua Lipa gar nicht gemeinsam mit Elton John ins Studio.

©Universal Music Group

Und auch die Musikindustrie befeuert das Wiederverwerten, immerhin hat sie in den vergangenen Jahrzehnten einiges an Geschäft eingebüßt. Finanzinvestoren kaufen Hits von Plattenfirmen. „Songklassiker sind finanziell so attraktiv, dass sich ein Investment-Sektor darum gebildet hat“, berichtete die Sendung Tracks auf Arte. Werkkataloge wechseln um viel Geld ihre Besitzer.

Die großen Musikverlage waren ebenfalls nicht untätig. Warner Chappell hat 250 Millionen Dollar für die Werke von David Bowie hingeblättert, Universal 300 Millionen für Sting. Und Sony war Bruce Springsteens Œuvre satte 500 Millionen Dollar wert. Da sieht man, wer der Boss ist.

Aber das sei notwendig, um sich auch neue Künstlerinnen und Künstler zu leisten, heißt es: „Der Back-Katalog finanziert die neuen Signings,“ sagte Natascha Augustin von Warner Chappell der Sendung.

„Die Verlage laden aktiv zu Songwriting-Camps ein, bei denen Songwriter die Aufgabe haben, vorgegebenes Ausgangsmaterial aus ihrem Rechtekatalog zu verwenden. Es soll kein Cover und kein Sample sein, aber den Vibe aufnehmen. Das ist eine Win-Win-Situation. Die Produzentinnen und Produzenten haben den Fuß in der Tür beim Publikum, die Majors bekommen Geld für den gekauften Katalog“, sagt van Appen.

Wann wird es wieder cool?

Damit ein schon da gewesenes Stück wiederverwertet werden kann, müssen einige Jahre ins Land ziehen. „Es braucht einen gewissen Abstand, bis es wieder cool ist“, meint van Appen. Allerdings: „Länger als 30 Jahre sollte der Abstand auf keinen Fall sein“, meint Kollege Weber. „Sonst gibt es keine Anknüpfungspunkte mehr. Das sollte schon auch noch vertraut wirken.“

Manchmal ist es nicht ganz einfach, die Grenze zum Plagiat zu ziehen. Dass sich musikalische Schlingel unerlaubt bei anderen bedient haben, ist in der Musikgeschichte vielfach vorgekommen. Auch hier waren die Nachfolge-Werke oft erfolgreich, ja sogar erfolgreicher. Alle paar Jahre kommt es zu einem Musikskandal. Einer der letzten großen war, als Marvin Gayes Erben Robin Thicke und Pharrell Williams erfolgreich auf einige Millionen Dollar verklagt haben, weil „Blurred Lines“ doch sehr an „Got to give it up“ erinnert hat.

Und dann gibt es welche, die recyceln selbst ihr eigenes Werk. Taylor Swift ist so eine. Sie nahm im Vorjahr ihr Erfolgsalbum „Red“ aus dem Jahr 2012 noch einmal neu auf. Damals weinte sie einer gescheiterten Beziehung mit Jake Gyllenhaal hinterher, 2021 sorgte sie dann für einen anderen Heuler. Die alte Platte wurde mit neuen Texten und mit aufwendigen Videos aufgehübscht und war erfolgreicher als das Original.

Probleme mit der Firma

Swift holte sich den Spotify-Rekord für das an einem Tag am meisten gestreamte Album einer Frau. 122,9 Millionen Mal wurde es binnen 24 Stunden gespielt. Der Grund, warum sie ihre alten Lieder neu aufnahm, waren übrigens auch Schwierigkeiten in einer Beziehung. Allerdings hatte sie die mit ihrer alten Plattenfirma und nicht mehr mit dem prominenten Freund.

Ist nun musikalisch alles gesagt, ist es das Ende der Kreativität? „Sicher nicht, auch wenn wir nur zwölf Töne haben, kann man sie immer wieder neu arrangieren. Es ist auch nicht jeder Roman geschrieben, obwohl viele das Thema Liebe behandeln“, widerspricht van Appen. Billie Eilish zum Beispiel sei mit ihrem Homestudio-Sound mit intimem Gesang und sperrigen Songformen relativ originell. Und auch bei jeder Art von Revival sei Neues dabei: Etwa ein neuer Sound, eine neue Technik, die ein Lied in die Gegenwart holen.

Auch Weber sieht kein Ende von neuen Entwicklungen. „Die Jugend von heute ist viel von Computerspielen beeinflusst. Wie hier mit Musik umgegangen wird, wird eine große Rolle spielen.“

Playlist

Acht Songs, die andere mal mehr, mal weniger zitieren, und ihre Originalversionen:

  • Donna Summer „Love to Love You Baby“ –  Beyoncé, „Naughty Girl“ (2004)
  • Olivia Newton-John „Physical“ (1981) – Dua Lipa „Physical“ (2020)
  • The Marvelettes „Please Mr. Postman“ (1961)  – Portugal. The Man „Feel It Still“ (2017)
  • Kraftwerk „Computerliebe“ (1981) – Coldplay „Talk“ (2005)
  • Haddaway „What is Love“ (1993)  – Eminem  ft. Lil Wayne „No Love“ (2010)
  • Gesaffelstein „Opr“  (2011) – The Weeknd „After Hours“ (2020)
  • Elton John „Your Song“ (1970) –  Aloe Blacc „The Man“ (2014)
  • Marvin Gaye & Tammi Terrell “Ain’t No Mountain High Enough“ (1967) – Amy Winehouse, „Tears Dry on Their Own“ (2006)
Daniel Voglhuber

Über Daniel Voglhuber

Redakteur bei der KURIER Freizeit. Er schreibt dort seit Dezember über Reise, Kultur, Kulinarik und Lifestyle. Also über alles, was schön ist und Spaß macht. Er begann 2011 als Oberösterreich-Mitarbeiter in der KURIER-Chronik, später produzierte er lange unterschiedliche Regionalausgaben. Zuletzt war er stellvertretender Chronik-Ressortleiter.

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