Geigenstar David Garrett: "Nicht jede Kritik hat Wertigkeit“

Im Interview spricht Garrett über Kritik, warum er auf Tour keinen Alkohol trinkt und seinen nächsten großen Plan

"Um Muskeln zu bekommen, musst du gegen den Strom schwimmen.“

Das sagt David Garrett im Gespräch mit uns. Der Deutsche hat das Geigenspiel (weiter) popularisiert: Insbesondere mit seinen Crossover-Projekten hat er das Instrument auch an ein Publikum gebracht, das klassische Musiker sonst nicht erreichen. Er ist, in der Beziehung zum Publikum, gegen den Strom geschwommen.

Derzeit ist Garrett wieder auf Tournee – am 11. Mai spielt er etwa in Graz, am 6. Juli im Wolkenturm in Grafenegg. Auf dem Programm steht diesmal auch selten gespielte Klassik: "Das war mir auch sehr wichtig", sagt Garrett. "Denn die letzten Jahre waren eher von Crossover-Stücken geprägt. Die Grundidee war, Duo-Konzerte zu machen, für Geige und klassische Gitarre. Dafür habe ich mir Stücke bewusst ausgesucht. Dabei war die allerhöchste Prämisse, dass jedes Stück als Duo funktioniert. Dass wir nun als Trio auf Tour sind, liegt daran, dass ich die Klangfarbe so einfach schöner finde."

Auch das aktuelle Album "Iconic" beinhaltet teilweise selten gespielte Werke. Warum interessiert sich für diese kaum noch jemand? "Vielleicht ist diese Art von Musik ein bisschen aus der Mode gekommen", sagt Garrett. "Es gibt so viele wunderschöne Werke aus dieser Zeit mit den ganzen großen Virtuosen, die leider in Vergessenheit geraten sind. Ich wollte diese schönen Stücke wieder lebendig werden lassen und mich damit auch vor den großen Künstlern verbeugen."

Zur Person

Biografie
Geboren 1980 in Aachen (Deutschland), ab 4 Jahren Geigenunterricht, Bühnendebüt mit zehn Jahren. Mit 13 nahm in die Deutsche Grammophon unter Vertrag. Seit einem Jahrzehnt widmete  er sich der Corssover-Musik, überspringt also die Grenzen "zwischen Mozart und Metallica". Sein aktuelles Klassik-Album "Iconic" erreichte nach Veröffentlichung Platz 4 der deutschen Popcharts

Österreich-Konzerte
11. Mai, Stefaniensaal, Graz; 18. Mai, Festspielhaus Bregenz; 6. Juli, Wolkenturm Grafenegg; 4. August, Domplatz Linz 

Er selbst hat nicht nur Verbeugungen erfahren: Die Klassikbranche fremdelt zuweilen mit Crossover-Künstlern, die ihren Blick auf das Publikum richten. Wie geht Garrett mit Kritik um? "Kritik ist unglaublich wichtig", sagt der 42-Jährige. Aber "nicht jede Kritik hat Wertigkeit. Man muss die Weisheit haben, zu unterscheiden, welcher Kritikpunkt berechtigt und welche Kritik unsachlich, nicht kompetent und einfach nur negativ ist."

Aber schlägt das durch, haben Sie Selbstzweifel? "Ohne Selbstzweifel keinen Erfolg. Das, was Erfolg ausmacht, ist der Ansporn, sich selbst nicht gut genug zu sein." Geht es auf diesem Niveau überhaupt noch um Technik? "Nein. Entweder du kannst spielen, oder du kannst nicht spielen. Die Frage der Technik spielt ab einem gewissen Niveau keine Rolle mehr."

©EPA/FILIP SINGER

"Wichtig ist, dass Körper und Geist im Einklang sind"

Sein Publikum packt Garrett gerne mit exponiertem Gefühl und viel Virtuosität. Das heißt: Viel üben? "Eine halbe Stunde am Tag mit Konzentration zu üben ist wichtiger als vier Stunden ohne Konzentration", sagt Garrett. "Wichtig ist, dass Körper und Geist im Einklang sind. Das heißt, sich nicht die Nacht um die Ohren schlagen. Keinen Alkohol trinken. Gerade auf Tour ist es wichtig, Stress zu vermeiden, den Puls niedrig zu halten, damit man entspannt auf die Bühne gehen kann."

In der Pandemiezeit hat Garrett seine Biografie "Wenn ihr wüsstet" geschrieben – das "hat viel Spaß gemacht. Da habe ich auch sehr viel Zeit und Kreativität mit einfließen lassen". Und er hat ein Klavierkonzert geschrieben, das beim Tsinandali-Festival in Georgien, das vom Israel Philharmonic geleitet wird, uraufgeführt werden wird, schildert Garrett. "Mit Olga Scheps am Klavier, darauf freue ich mich schon sehr."

Und jetzt: Ein Musical

Und dann erzählt Garrett noch von einem überraschenden neuen Plan: Es gibt nämlich "ein Projekt, mit dem ich vor einigen Tagen begonnen habe." Und zwar? "Ein Musical. Ich liebe Musicals. Sie sind die Opern des 21. Jahrhunderts.“ Worum es geht, sagt Garrett nicht. Aber: "Dafür braucht es ein schönes Thema, eine gute Story und die habe ich."

Und wie wird es? "Es wird sozialkritisch, aber auch gleichzeitig lustig und unterhaltsam sein. Etwas, was bei Jung und Alt funktioniert. Derzeit habe ich erst die Storyline grob schraffiert, ein paar Melodien aufgeschrieben und Bühnenbild-Ideen entworfen."

Marco Weise

Über Marco Weise

Ausstellung & Ausgehen. Bananenschnitte & Bier. Charme & Charakter. Dorfpunks & Dada. Ehrlichkeit & Ehrgeiz. Familie & Fußball. Genuss- & Gerechtigkeitsliebend. Herz & Hirn. Immer unterwegs & Immer wieder zu spät. Ja & Jessasna. Kritik & Konzert. Linsensuppe & Linzerschnitte. Musik & Melancholie. Natur & Nieswandt. Orient & Okzident. Pizza & Pathos. Quote & Querulant. Realist & Reisender. Schokolade & Schmäh. Ton & Techno. Und eins & Und zwei. Vinyl & Viennale. Wasser & Wein. X, Y & Z

Kommentare