Märchenhaft und bittersüß: Lesley Manville als englische Putzfrau wünscht sich ein Kleid von Christian Dior

Filmkritik zu "Mrs. Harris und ein Kleid von Dior": Sehnsucht nach Sichtbarkeit

Die Brit-Veteranin Lesley Manville als Londoner Putzfrau reist nach Paris, um sich ein Kleid von Dior zu kaufen

Eine Putzfrau namens Ada Harris wünscht sich nichts Sehnlicher als ein Kleid von Dior. Alles setzt sie daran, um sich ihren Traum zu erfüllen: Im London der späten 50er-Jahre schrubbt sie die Gemächer ihrer herrschaftlichen Kundschaft, kratzt ihre Ersparnisse zusammen und schließt idiotische Wetten ab, bei denen sie auf Windhunde mit dem verheißungsvollen Namen „Haute Couture“ setzt.

Dass sie es tatsächlich bis nach Paris und über die Schwelle des Modehauses Christian Dior schafft, verdankt sie ausschließlich der Romanvorlage von Paul Gallico aus dem Jahr 1958.

Die zuckrige Mischung aus Modemärchen und Aschenputtel – ein Stoff, aus dem im Kino sehr viele Filme geschneidert sind – zeichnet sich dank seiner Hauptdarstellerin durch einen Hauch von Originalität aus.

Kein junges Mädchen, das sich vom hässlichen Entlein zum schönen Schwan mausert, sondern eine etwas abgeschabte Mitsechzigerin gönnt sich hier die Sehnsucht nach Sichtbarkeit. Und während die Umgebung in ihr meist die nette Alte (über-) sieht, träumt Mrs. Harris von einem strahlenden Auftritt in einem Kleid von Dior.

Sartre und Dior

Lesley Manville, renommierte Darstellerin im sozialrealistischen Brit-Kino von Mike Leigh und mit einer Oscarnominierung für ihren Auftritt in Paul Thomas Andersons „Der seidene Faden“ belohnt, spielt sich tapfer und gefühlvoll durch die etwas simple Rolle der kleinen Arbeiterin mit dem goldenen Herzen.

Lesley Manville probiert ein Kleid von Dior an

©Dávid Lukács/UPI

Ähnlich unterbeschäftigt bleibt Isabelle Huppert: Als pikierte Direktorin des Hauses Dior zieht sie meist eine Schnute und würde die arme Mrs. Harris am liebsten zurück nach London mobben.

Aber Paris ist nicht nur die Stadt der Liebe, sondern auch der Dior-Angestellten, die in ihrer Freizeit nichts lieber tun, als Sartre zu lesen und ältere Britinnen gratis bei sich wohnen zu lassen.

Nostalgieschwer und klischeestark ackert sich der niedlich-spießige Fifties-Plot durch seine pittoresken, farbenfrohen Schauplätze.

Lambert Wilson in einer charmanten Nebenrolle: "Mrs. Harris und ein Kleid von Dior"

©Dávid Lukács/UPI

Das britische Arbeitermilieu ist wohlig familiär, das Leben der Pariser Oberschicht postkartenkitschig und schön.

Auch die Kleider von Dior – fünf davon aus der Originalkollektion – verzaubern ihre Trägerinnen mit der Eleganz einer Grace Kelly. Gemeinsam mit der bittersüßen Coming-of-Old-Age-Story liefern sie maßgeschneiderte Weltenflucht als Wohlfühlkino mit der Qualität einer Wärmflasche: Zuerst zu heiß, dann zu kalt, aber mittendrin mollig warm.

INFO: GB/F 2021. 115 Min. Von Anthony Fabian. Mit Lesley Manville, Isabelle Huppert.

Alexandra Seibel

Über Alexandra Seibel

Alexandra Seibel schreibt über Film, wenn sie nicht gerade im Kino sitzt.

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